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Aufgespießt: Klage über zunehmenden Zentralismus und Alleinvertretungsanspruch der EKD

Einheit und Differenzpflege.

erschienen in: Ev. Theol. 1/2014, S. 77 bis 79 von Prof. Bernd Oberdorfer

Daraus zum Thema:
„…Umgekehrt hört man – freilich eher in Hintergrundgesprächen als öffentlich – häufig heftige Kritik an der EKD. Diese trete den Landeskirchen mit immer massiverem Zentralismus und Alleinvertretungsanspruch gegenüber und ziehe immer mehr Aufgaben und Kompetenzen an sich…
Unbestreitbar ist die EKD wichtig für den deutschen Protestantismus. Sie wird aber durch zunehmende Zentralisierung… nicht gestärkt, sondern geschwächt…“

Zum Autor: Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, seit 2001 Inhaber des Lehrstuhls für Evangelische
Theologie mit Schwerpunkt Systematische Theologie und theologische Gegenwarts-
fragen an der Universität Augsburg.

Zukunftsforum für die Mittlere Ebene in Wuppertal

Informieren – Transformieren – Reformieren. Uber die eigentlichen Aufgaben der sog. Mittleren Ebene.

Ein Kommentar von Maximilian Heßlein.

80 Jahre ist es in diesen Tagen her, dass die Barmer Theologische Erklärung das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Für die Evangelische Kirche ist das der grundlegende Text ihres Kircheseins im 20. und anbrechenden 21. Jahrhundert, weil sie neben der klaren Ausrichtung an Jesus Christus, weil sie über Zuspruch und Anspruch Gottes an uns auch etwas sagt zur Gestalt der Kirche und zu ihrem Leben in der säkularen Welt.
80 Jahre sind also seither vergangen und der Befund ist eindeutig. In dieser Zeit hat sich die Evangelische Kirche massiv verändert. Sie ist beweglicher, vielfältiger, in der Öffentlichkeit einflussreicher und an Gebäuden und Geldmitteln reicher geworden. Wer in die Zahlen und das Leben der Kirche schaut, wird das nicht übersehen können.
Nun haben sich an diesem Wochenende etwa 800 Vertreterinnen und Vertreter der 600 verschiedenen Kirchenkreise, Dekanate und Synodalverbände der EKD an eben diesem Ort der Entstehung der Barmer Theologischen Erklärung getroffen, um die Veränderungen der Kirche zu beleuchten. Sie sollten und wollten sich informieren, transformieren und reformieren. So jedenfalls war der öffentliche Anspruch des Zukunftsforums in Wuppertal überschrieben. Kirchenkonferenz und Rat der EKD hatten dazu eingeladen.
Dabei wurde im Vorfeld festgestellt: „Die evangelische Kirche verändert sich. Herausgefordert von wachsender religiöser Vielfalt und individualisierter Daseinsgestaltung, von sinkenden Mitgliederzahlen und Finanzmitteln, ist sie auf der Suche nach theologisch verantworteten Schwerpunktsetzungen, nach beweglicheren Formen und stärkerer Außenorientierung.“
Zugleich wurde in der Einladung zum Zukunftsforum der sog. Mittleren Ebene, also der Kirchenleitung in Kirchenkreisen und Dekanaten, eine besondere Rolle zugespielt: Die Mittlere Ebene habe eine Schlüsselfunktion in der Bestärkung, Verbreiterung und Nachhaltigkeit der Veränderungsprozesse.
Der geneigte Leser staunt und kommt aus dem Staunen so schnell auch nicht heraus. Nicht nur, dass der Veränderungsprozess überhaupt nicht mehr hinterfragt wird – die V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung deutet ja zumindest an, dass die Veränderungen in keiner Weise greifen, sondern den Abbau der Bindungen eher noch beschleunigen. Darüber hinaus aber wird unter dieser Aufgabenzuschreibung ein Kirchenbild im Verständnis zementiert, das eine klare hierarchische Ordnung erkennen lässt. Im Kirchenamt, der Kirchenkonferenz und im Rat der EKD wird gedacht und wird die Gestalt der Evangelischen Kirche für die nächsten Jahren festgelegt. Dann wird über die Landeskirchen dieses Denken und die konkreten Ausformungen immer weiter gegeben, bis es über die Kirchenkreise und Dekanate letztlich bei den Gemeinden, den ortsnahen kirchlichen Arbeitsformen und bei den Menschen ankommt.
Eigentlich ist es eine Schande, dass ausgerechnet in Wuppertal ein solcher Prozess weitergetrieben wird. Ist doch gerade in Barmen ganz anderes über die Kirche gedacht worden. Es gibt nur einen Herrn, der die Kirche lenkt. Er heißt Jesus Christus. Es gibt keine Herrschaft der einen über die anderen. Es gibt vielmehr den Auftrag, sein Wort auszurichten an alles Volk. Sein Wort aber wird hörbar unter den Menschen, in deren Versammlung im Glauben. Es ist nicht festgeschrieben in Prognosen und Annahmen oder wiederkehrend falschen Voraussetzungen.
Dabei ist festzuhalten: Die Herausforderungen sind in der Einladung zum Zukunftsforum klar benannt. Es ist wichtig und gut, dass sich die Kirche diesen Herausforderungen bewusst stellt. Es ist aber mindestens so wichtig, dass die Kirche überprüft, ob die benannten Herausforderungen auch wirklich stimmen, oder ob mit diesen Dingen nicht vielmehr ein Herrschaftsinstrument etabliert und legitimiert wird, um die Kirche nach kirchenleitenden Vorstellungen zu verändern.
So ist die eigentliche Aufgabe der Kirchenleitung, gerade in den Dekanaten und Kirchenkreisen einmal nachzufragen und zu hören, ob denn die Herausforderungen überhaupt richtig benannt sind.
Allein die immer wiederkehrende Feststellung schwindender Finanzmittel ist schlicht und ergreifend falsch. Ja, die Kirchenglieder werden weniger. Die Aktiven aber werden an vielen Stellen mehr. Zugleich steigt auch die Produktivität in diesem Land immer weiter. Es ist genug Geld da. Auch für die Kirche. Die Steuereinnahmen wachsen seit Jahren. Nur wohin wird das Geld verteilt? Wer profitiert von den eingenommenen Mitteln? Und wer bestimmt darüber? Das ist nicht nur in der Kirche eine der Grundfragen menschlichen Zusammenlebens.
Auch gibt es theologische Schwerpunktsetzungen zuhauf und gelebte Frömmigkeit. Die erfährt man allerdings nicht in den warmen Stuben der Kirchenverwaltungen, sondern im dichten Kontakt zu den Menschen. Dort wo der Glaube gelebt wird. Nikolaus Schneider hat diesen Kontakt möglicherweise verloren, sonst müsste er sich nicht „mehr Alltagsfrömmigkeit in den Gemeinden“ wünschen ( wenn er denn wirklich richtig zitiert ist; siehe sein Zitat).
Es reicht der Blick auf die einzelnen Gemeinden. Es reicht der Blick auf die ganz konkrete Verkündigungsbereitschaft der Menschen an Ort und Stelle. In vielen Bereichen wird auf hohem Niveau Theologie betrieben für die Menschen eines Stadtteils oder eines Dorfes, für Umherziehende und Bleibende, für Suchende und für Zweifelnde genauso wie für diejenigen, die in dieser Zeit fest im Glauben stehen. Das kann mehr werden. Das darf auch mehr werden. Die Leitungen jedoch tun gerade so, als gäbe es das gar nicht.
All diese Dinge laufen nämlich dezentral. Sie sind nicht von einem einzelnen Ort aus gesteuert, sondern entstehen dort, wo Menschen sich um Gottes Wort versammeln und miteinander ins Gespräch kommen, ihre Kirche und Gemeinde gestalten und letztlich wirklich die Kirche sind mit all ihren Stärken, aber auch all ihren Schwächen.
So stünde es der EKD wie auch den Kirchenleitungen der einzelnen Landeskirchen eigentlich gut an, vor allem erst einmal zuzuhören, anzuerkennen und wertzuschätzen, was in der Kirche gearbeitet und gelebt wird und zu schauen, wie diese dezentrale Ausrichtung der evangelischen Kirche gestärkt und nicht immer weiter beschnitten werden kann.
Da wäre es gut, nur ein einziges Mal wirklich zuzuhören. Wie viele durch die Umstrukturierungen und Zusammenlegungen abservierte oder überlastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derjenigen kirchlichen Arbeitsfelder, die sich den Zusprüchen und Ansprüchen der Menschen an Ort und Stelle widmen sollen und wollen, sind denn eigentlich mal gefragt worden?
Wer fragt die ausgebrannten und wegen ständiger Deputatskürzungen überforderten Sekretärinnen, die keine Kontaktpflege mehr betreiben können. Immerhin ist diese Berufsgruppe gemäß der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung nach den Pfarrerinnen und Pfarrern diejenige mit den meisten von außen wahrgenommenen Kontakten zu den Menschen.
Wer fragt die Hausmeister, die in fünf Stunden pro Woche ganze Kirchen und zugehörige Gemeindehäuser betreuen sollen?
Wer fragt die Pfarrerinnen und Pfarrer, die alles liegen gebliebene auffangen, Briefe austragen, Wäsche waschen, Stühle stellen, Abendmahlsgeschirr reinigen und nebenher auch Gottesdienste halten, Seelsorge üben und diakonische Aufgaben übernehmen?
Wer fragt die? – Keiner.
Das aber wäre die eigentliche Aufgabe der sog. Mittleren Ebene, wenn sie nicht als Herrschaftsinstrument von den Kirchenleitungen instrumentalisiert würde, sondern als Teil des innerkirchlichen Kommunikationsprozesses wahrgenommen würde, der nicht dem Herrschen und Verwalten, sondern dem Leben der Kirche und ihrer Gestaltung dient.
80 Jahre Barmer Theologische Erklärung sind ein guter Zeitpunkt umzudenken. Eine Chance dafür wurde in Wuppertal und den verschiedenen Orten des Ruhrgebiets schon im Vorfeld vertan.

„Praxiswerkstatt“ der Kirchenjuristen zum Pfarrdienstgesetz der EKD (§ 79ff) in Pullach vom 19. bis 22. Mai 2014

9. Mai 2014  D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e.V.

Die §§ 79ff des Pfarrdienstgesetzes der EKD laden ein zu Missbrauch und willkürlicher Anwendung

Sehr geehrter Herr Oberkirchenrat Frehrking!

Im Internet sind wir, der Verein „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der ev. Kirche“, auf Ihre Einladung zu einer „Praxiswerkstatt“ zum Pfarrdienstrecht der EKD in Pullach vom 19. bis 22. Mai 2014 gestoßen. Diese Einladung richtet sich an „Anwender des Pfarrdienstgesetzes der EKD, Kirchenjuristinnen und Kirchenjuristen aus dem Bereich des Dienstrechts, theologisch Mitarbeitende aus den Personaldezernaten der Landeskirchenämter“, also einen höchst bedeutsamen Kreis, wenn es um die Umsetzungen der Paragraphen in die kirchliche Praxis geht. Allerdings verwundert uns Ihre Bemerkung, dass „die kirchenpolitische Diskussion um einzelne Regelungen“ nunmehr „abgekühlt“ sei und es daher jetzt darauf ankomme, „zu den neuen Bestimmungen eine EKD-weit möglichst einheitliche Verwaltungspraxis zu entwickeln“.

Wir nehmen eher das Gegenteil wahr und möchten Sie, die Tagungsleitung, aber auch die anreisenden Tagungsteilnehmer und –teilnehmerinnen sowie weitere Adressaten auf kritische Stimmen hinweisen, die bis heute nicht verstummt sind. Dabei geht es uns vornehmlich um die Paragraphenfolge 79 (2) 5; 80 (1); 83 (2); 84; 92 (2) und die willkürliche Anwendung, zu der diese Paragraphen die Möglichkeit geben.

I Kritische Stimmen:

Als erstes nennen wir den Aufruf von Frau Professorin Dr. Gisela Kittel, den der Verein „D.A.V.I.D. gegen Mobbing“ im Frühjahr 2012 an alle Theologischen Fakultäten und viele theologische Fachschaften versandt hat. Er trägt den Titel „Wie Bewährung im Pfarramt heute gemessen wird. Ein Appell an die Theologischen Fakultäten – eine Warnung an alle Studierenden der Evangelischen Theologie, sofern sie sich auf das Pfarramt vorbereiten“. Abgedruckt in der Home-Page unseres Vereins (www.david-gegen-mobbing.de) unter der Rubrik „Aktionen von David“. (Anlage 11)
Außerdem wurden von unserem Verein das Bundesjustizministerium und die einzelnen Justizministerien der Länder angeschrieben mit Hinweisen darauf, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung der evangelischen Kirchen den übergeordneten heutigen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und den unveräußerlichen Grundrechten widersprechen. (Anlage 2: Schreiben an das Bundesministerium der Justiz, z.Hd. Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberg, vom 28. Februar 2012, nebst Anhang „Vier Vorwürfe an Gesetzgebung und Rechtsprechung der evangelischen Kirchen“)
In die gleiche Richtung zielte und zielt auch eine „Initiative für ein gerechtes Kirchenrecht in der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“. Angeschrieben wurden von dieser Initiative der Ratsvorsitzende Dr. Nikolaus Schneider am 16. November 2012 und das Präsidium der Synode der EKD, z.Hd. des früheren Präses Dr. Günther Beckstein, am 1. Juni 2013. Ihre sorgfältig ausgearbeiteten und mit Dokumenten belegten Argumentationen hat die Initiative jetzt noch einmal zusammengefasst und Anfang April 2014 unter der Überschrift: „Die evangelische Kirche missachtet rechtsstaatliche und innerkirchliche Grundwerte“ der neuen Präses der Synode, Frau Dr. Irmgard Schwaetzer, zugesandt.
In Württemberg hat die „Interessengemeinschaft Rechtsschutz für Pfarrerinnen und Pfarrer und Gewaltenteilung in der Kirche“ in jüngster Zeit mehrere Beiträge in ihre Home-Page (www.igrechtinderkirche.de) gestellt, in denen die Frage nach der Geltung der Grundrechte auch für Pfarrpersonen deutlich artikuliert wird.
Weiter: Anlässlich der Berufung des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats für das Lutherjahr 2017 hat sich Frau Professorin Dr. Gisela Kittel noch einmal zu Wort gemeldet und ihre Kritik an den Widersprüchen und befremdlichen theologischen Implikationen des Verfassungsurteils aus dem Jahr 2008 (Teil II, Abschnitt 2) wiederholt. Einer der drei Richter war damals Herr Udo di Fabio. (Anlage 3. Erscheint Mitte Mai im DtPfBl)
Zuletzt hat sich in diesen Tagen der Pastoralpsychologe und Pfarrer Dr. Traugott Schall zu Wort gemeldet und das Vorkommen der psychologischen und in keiner Weise justitiablen Begriffe „Vertrauen“ (bzw. Vertrauensentzug) und „Zerrüttung“ in einem kirchlichen Gesetzestext ins Visier genommen und deren Interpretation durch Juristen deutlich hinterfragt. Der Titel: „Ade, Freiheit der Verkündigung und Seelsorge“. (Anlage 4. Erscheint vermutlich im Oktober im DtPfBl)
Dies, Herr Oberkirchenrat Frehrking, ist nur ein Ausschnitt aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Pfarrdienstgesetz, die noch immer anhält. Befeuert wird diese Diskussion immer wieder neu durch Erfahrungen, wie dieses Gesetz in der Praxis angewendet wird und welch unheilvolle Folgen es  nicht nur für die betroffenen Pfarrpersonen, sondern auch für die Gemeinden hat, die das Wegmobben ihrer Pfarrer erleben. In vielen Fällen wird überhaupt erst durch die kirchenamtlichen Maßnahmen ein Konflikt in Gemeinden hineingetragen, in jedem Fall aber werden mögliche bestehende Konflikte durch sie nur noch verstärkt.
II Einladung zu willkürlicher Anwendung
Aufgezählt seien hier unsere Kritikpunkte, die sich durch Wahrnehmung und Begleitung zahlreicher Abberufungsverfahren ergeben und immer mehr verdichtet haben.
1. Es handelt sich bei den Abberufungen nach § 79 (2)5 und § 80 (1) nicht nur um „Versetzungen“ in andere gleichwertige Stellen. Nach §§ 83 (2); 84; 92 (2) werden Pfarrerinnen und Pfarrer in den Wartestand versetzt, „wenn eine Versetzung in eine andere Stelle nicht durchführbar ist“. Der Wartestand dauert drei Jahre. Während dieser Zeit werden die Versetzten mit einem „Wartegeld“ versorgt, das, nach Landeskirchen verschieden, zwischen 50% und 80% des bisherigen Gehaltes ausmacht. Sie müssen für zugewiesene Vertretungsdienste zur Verfügung stehen und sollen sich, wenn nicht weitere Einschränkungen verhängt sind, auf freie, ihrer Ausbildung entsprechende Stellen im Kirchendienst bewerben. Bleiben diese Bewerbungen jedoch ohne Erfolg – denn welcher durch ein Abberufungsverfahren stigmatisierte Pfarrer hat noch eine Chance gewählt zu werden, wenn auch andere Bewerber zur Verfügung stehen oder eine initiierte Buschtrommel vor seiner Person warnt? – so endet die berufliche Existenz der aus ihren Gemeinden vertriebenen Pfarrer und Pfarrerinnen im Ruhestand, ganz gleich wie alt oder jung sie sind.

2. Damit bewirkt dieses Gesetz eine „Bestrafung“ ohne Schuldnachweis. Denn wenn auch Kirchenjuristen nicht von „Strafe“ sprechen wollen, sondern in den negativen Folgen für die Betroffenen nur eine Art „Kollateralschaden“ erblicken (vgl. den Begründungstext zu § 80 (1)), so entsprechen die beschriebenen Konsequenzen doch sehr deutlich einer hohen Disziplinarstrafe, wie sie etwa das Disziplinarrecht der EKD für erhebliche disziplinarische Vergehen vorsieht. In den hier besprochenen Fällen aber treffen diese Bestrafungen Personen, von denen das Pfarrdienstgesetz (§ 80(1)) ausdrücklich feststellt, dass die Gründe für die Konflikte, die in der Gemeinde entstanden sind, „nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen (müssen)“.
3. Wahrscheinlich sollten einmal alle an Konflikten beteiligten Personen durch den genannten Beisatz geschützt werden. („Schmutzige Wäsche“ soll nicht gewaschen werden, wie man immer wieder hört.) Doch in der Praxis hat auch diese Bestimmung eine ganz andere Wirkung. Sie ermöglicht, dass ohne Untersuchung, ohne Konfliktklärung, ohne Wahrheitsfindung Pfarrpersonen aus ihren Ämtern entfernt werden, da ja nun – wie es in der Begründung zu § 80 wiederholt heißt – alle Fragen nach Ursachen, Inhalt und den Verantwortlichen für einen Gemeindestreit „völlig unerheblich“ sind. Zitat: „Allerdings ist auch festzuhalten, dass es letztendlich unerheblich ist, wer die Zerrüttung und Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu verantworten hat oder verschuldet hat. Die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn die Gründe für die Zerrüttung nicht in dem Verhalten der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen; ebenso, wie sie im Charakter oder Verhalten der Pfarrerin oder des Pfarrers gegeben sein können, können die Gründe für eine Zerrüttung auch in dem Charakter oder Verhalten von Presbytern, Amtsbrüdern, kirchlichen Mitarbeitern oder Gemeindegliedern liegen. Eine Prüfung der Frage, wer oder was dem derzeitigen Pfarrer die gedeihliche Führung des Pfarramts unmöglich macht, verbietet sich im Allgemeinen, weil diese Frage als solche unerheblich ist.“ (Aus dem jetzt „nichtamtlich“ genannten Begründungstext der EKD)
4. Damit ist Kirchenvorständen, aber auch Gemeindegruppen, die sich wegen irgendeiner Sache über ihren Pfarrer, ihre Pfarrerin geärgert oder sie zu ihren Sündenböcken erklärt haben, ein ganz einfaches und bequemes Mittel in die Hand gegeben, eine Pfarrperson zu vertreiben. Auch Superintendenten können einem Pfarrkollegen, den sie nicht mögen, mit leichtem Instrument übel mitspielen. Mögen die Paragraphen über das Vorgehen bei „lang anhaltender Störung“ auch als „ultima ratio“ ausgegeben werden, damit in nicht mehr anders zu lösenden Konfliktfällen eine Trennung herbeigeführt werden kann, – in der kirchlichen Praxis geben sie die rechtliche Möglichkeit an die Hand, immer schon als „prima ratio“ eingesetzt zu werden.
Als ein trauriges Beispiel aus jüngster Zeit sei hier das Verfahren genannt, das die evangelisch-lutherische Kirche von Hannover gegen den Gemeindepfarrer einer Kirchengemeinde im Emsland gegenwärtig betreibt. (Das Verfahren findet bereits auf der Grundlage des Pfarrdienstgesetzes der EKD von 2010 statt.) Die Fakten, die bei der öffentlichen Gerichtsverhandlung in Hannover zur Sprache kamen, seien hier aufgeführt:
Am 8.11.2012 bringt der in einer Kirchenvorstandssitzung anwesende Superintendent außerhalb der Tagesordnung das Gespräch auf die Arbeit des Pfarrers und fordert die Kirchenvorsteher – die in ihrer Mehrheit erst  5 Monate im Amt sind und auch erst 5 Kirchenvorstandssitzungen erlebt haben – dazu auf, ihre Kritik an dem Pfarrer zusammenzutragen. Dieser selbst wird währenddessen auf den Flur geschickt. Zu einer Aussprache über die Kritik kommt es mit ihm nicht. 4 Tage später beantragt der Superintendent im Einvernehmen mit den Kirchenvorstehern bei der Kirchenleitung, ein Verfahren wegen „mangelnden gedeihlichen Wirkens“ bzw. „einer nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ gegen den Gemeindepfarrer einzuleiten. Dies geschieht am 27. Januar 2013, drei Monate nach der Antragstellung. Bis zu diesem Datum arbeitet der Pfarrer mit seinem Kirchenvorstand störungsfrei weiter. Doch scheint den Kirchenältesten verboten worden zu sein, das Konfliktfeld mit dem Pfarrer zu besprechen. In der Gemeinde gibt es keine Konflikte. Sie ist ahnungslos und wird von der plötzlichen Beurlaubung ihres Pfarrers völlig überrascht. 5 Monate später kommt dann im Sommer 2013 das Abberufungsverfahren zum Abschluss, der Pfarrer wird in den Wartestand versetzt und mit einem gesonderten Auftrag mit entsprechender Gehaltsabsenkung in drei Altenheimen an anderen Orten beschäftigt. Ist das die „Ultima ratio“, die die Beibehaltung und Anwendung des Ungedeihlichkeits- oder Störungsparagraphen rechtfertigt?

Bei der Verhandlung vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht am 28. März dieses Jahres waren auch Mitglieder des David-Vorstandes unter den Zuhörern. Sie haben notiert, wie der Vertreter der Landeskirche Hannover den „Tatbestand“ „Vertrauensverlust“ ins Feld führte. Nach seinen Worten ist das fehlende Vertrauen eines Kirchenvorstandes bzw. die entsprechende Behauptung eine ganz subjektive Sache, die nicht mehr hinterfragbar ist. Man muss solchen Aussagen einfach nur „glauben“. Aber solche Behauptungen führen laut PfDG EKD §§ 79ff direkt zu Versetzungen und damit zu Wartestand, Gehaltsreduzierung und häufig auch zum Berufsende der betroffenen Personen! (vgl. Anlage 5: Bericht von Frau Prof. Dr. Kittel an den Leiter der Rechtsabteilung des Kirchenamtes der EKD, Dr. Christoph Thiele.)

5. Noch ein fünfter Punkt sei hier hinzugefügt: Das Pfarrdienstgesetz in seinen §§ 79ff kann nicht nur als bequemes Rechtsmittel eingesetzt werden, um Pfarrpersonen, die in einen Konflikt hineingezogen oder geraten sind, ohne rechtsstaatliche Standards ihrer Ämter zu entheben, es kann auch schon im Vorfeld als Drohmittel dienen, um „freiwillige“ Abgänge zu erzielen. Der Kirchenstreit in der Taunusgemeinde Burgholzhausen, in dem die Gemeinde für ihren Pfarrer gegen den Kirchenvorstand – allerdings vergeblich – gekämpft hat, ist dafür ein eklatantes Beispiel, das in naher Zukunft ausführlich dokumentiert werden wird. Aus Furcht vor den angedrohten Verfahren mit der damit verbundenen Stigmatisierung, die einen Wechsel in ein anderes Amt nahezu unmöglich macht, gehen viele Pfarrpersonen lieber freiwillig aus der ihnen anvertrauten Gemeinde heraus oder lassen sich – so oftmals in früheren Zeiten – vorzeitig pensionieren. In den Statistiken der EKD kommen diese Fälle der erpressten Rückzüge in Wartestand oder vorgezogenen Ruhestand natürlich nicht vor, obwohl sie an Zahl die stattfindenden Abberufungen noch einmal deutlich übersteigen dürften.

6. Nach Kenntnis des Vereins D.A.V.I.D. hat es seit seinem Bestehen, also in den letzten 15 Jahren, EKD-weit bis zu 400 Ungedeihlichkeitsverfahren, zumindest deren Androhungen, gegeben. Über die Hälfte sind von Mitgliedern des Vereins – z.T. über mehrere Jahre – aktiv begleitet worden. Darüber hinaus ist aber von einer noch höheren Dunkelziffer auszugehen, da in der Vergangenheit betroffene Pfarrpersonen sich nicht mehr äußern, die Türen fest hinter sich verschlossen haben.

Sehr geehrter Herr Oberkirchenrat Frehrking! Wenn Sie Mitte Mai Ihre Tagung in Pullach halten, so möchten wir Sie dringend bitten, auch diese Auswirkungen in die Praxis der evangelischen Gemeinden hinein mit in den Blick zu fassen. Die angefügten Anlagen mögen Ihnen dazu eine Textgrundlage bieten.

Mit freundlichen Grüßen!

Ingrid Ullman            Sabine Sunnus                Dr. Karl Martin
Vorsitzende des Vereins    Stellvertretende Vorsitzende        Schriftführer des Vereins
D.A.V.I.D. gegen Mobbing    des Vereins D.A.V.I.D.            D.A.V.I.D. gegen Mobbing
in der evangelischen Kirche    gegen Mobbing in der ev. Kirche    in der evangelischen Kirche

D.A.V.I.D. – Ingrid Ullmann, Brabanter Str. 12, 65191 Wiesbaden

Das Schreiben ist gerichtet
An
Herrn Oberkirchenrat
Christian Frehrking
Lutherisches Kirchenamt der VELKD,
Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover

In Kopie an:

Herrn Oberkirchenrat
Dr. Christoph Thiele
Kirchenamt der EKD
Herrenhäuser Str.12,   30419  Hannover

Herrn Dr. Friedrich Hauschildt
Kirchenamt der VELKD
Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover

Die Leitenden Juristen in den Kirchenämtern
der evangelischen Landeskirchen

Herrn Rektor PD Dr. Detlef Dieckmann-von Bünau
Theologisches Studienseminar der VELKD
Bischof Meiser Straße 6, 82049 Pullach

Internet: www.david-gegen-mobbing.de; E-Mail: info@david-gegen-mobbing.de

Ein Pakt, den keiner kennt. Von Christoph Fleischmann.

Ein beeindruckendes Beispiel protestantischer Transparenz: Die Kirchenkonferenz, in der die beiden ranghöchsten Vertreter jeder Landeskirche zusammensitzen, beschließt einen „Erweiterten Solidarpakt“. Der betrifft das Finanzverhalten aller Landeskirchen: Man habe „finanzielle Mindesstandards einer verantwortlichen Finanzplanung“ festgelgt, die vom Kirchenamt der EKD im Auftrag der Gemeinschaft aller Landeskirchen überwacht würden, erklärt Thomas Begrich vom Kirchenamt der EKD. Dazu liefern die Landeskirchen jährlich Daten bezüglich Personal, Rücklagen, Schulden, etc. nach Hannover.

Leider sind die Beschlüsse der Kirchenkonferenz nicht öffentlich. Aber, so versichert das Kirchenamt auf Nachfrage, selbstverständlich seien auch die Landessynoden „informiert“. Ist das so? Hat irgendeine Kirchenleitung den Beschluss der Kirchenkonferenz ihrer jeweiligen Synode im Wortlaut vorgelegt?  Zum Artikel.

Evangelische Kirche will 2014 ihr Arbeitsrecht reformieren

Im kirchlichen Arbeitsrecht sollen ab 2014 neue Regeln gelten.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat dazu eine Gesetzesreform erarbeitet, die die Synode im November in Düsseldorf verabschieden soll. Bei der Kirche und ihrer Diakonie sind bundesweit 677.000 Menschen beschäftigt. Die Gewerkschaft ver.di lehnt das neue Gesetz ab.

Mit dem neuen Kirchengesetz, das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, sollen die Vorgaben umgesetzt werden, die das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in seinem Urteil vom 20. November 2012 zum Tarifrecht der Kirchen gemacht hat.

Somit wären die erzielten Lohnvereinbarungen für alle kirchlichen und diakonischen Einrichtungen verbindlich und dürften nicht unterschritten werden. Lohnabschlüsse könnten sowohl in kircheneigenen Arbeitsrechtlichen Kommissionen als auch in sogenannten kirchengemäßen Tarifverträgen zustande kommen.

Kirchengemäß heißt: Tarifkonflikte sind im Konsens zu lösen, Streiks sind verboten…

Mehr dazu.

Der persönliche Kontakt zum Pfarrer/ zur Pfarrerin steht in engem Zusammenhang mit der Kirchenbindung. Zur neuen Mitgliedschaftsstudie der EKD.

Am Donnerstag (06.03.2014) hat die EKD in Berlin die 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung veröffentlicht, die sich auf Daten aus dem Jahr 2012 bezieht. Demnach schwindet die Bindungskraft der evangelischen Kirche stetig.

Daneben förderte die Studie zahlreiche Details über das kirchliche Leben und ihre Mitglieder zutage. Eine Auswahl:

Mehr als drei Viertel der evangelischen Kirchenmitglieder kennen mindestens einen Pfarrer namentlich oder vom Sehen. Dieser persönliche Kontakt steht in engem Zusammenhang mit der Kirchenbindung.

13 Prozent der Protestanten sind sehr aktiv in der Kirche: Sie gehen mindestens einmal im Monat in einen Gottesdienst, haben persönlichen Kontakt zu einem Pfarrer und wirken ehrenamtlich am kirchlichen Leben mit.

Als religiöse Themen werden vor allem ethische Fragen rund um den Tod und den Sinn des Lebens angesehen. Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden rangieren deutlich dahinter.

Gespräche über religiöse Themen erfolgen meist in der Familie und im Freundeskreis.

Für den Austausch über religiöse Themen hat das Internet kaum Bedeutung.

Tageszeitungen und Kirchengemeindebriefe dienen mit Abstand am häufigsten als Informationsquelle über Kirche und kirchliche Themen. Als Informationsquelle über Kirche und religiöse Themen spielen auch die
Kirchengebietszeitungen, gerade für ältere Menschen, eine wichtige Rolle.

Distanz zu Kirche und Religion ist eher ein Grund zum Kirchenaustritt als der Wunsch, Kirchensteuer zu sparen.

Das diakonische Wirken der Kirche findet große Anerkennung, auch bei Konfessionslosen.

Evangelische Kirchenmitglieder sind mit ihrer Lebenssituation im Schnitt zufriedener als Konfessionslose.

Frauen engagieren sich etwas, aber nicht übermäßig häufiger in der evangelischen Kirche. Ein Zusammenhang von Bildung und Einkommen mit kirchlichem Engagement ist nicht erkennbar. epd

(Seit 1972 nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre Mitglieder alle zehn Jahren mittels einer groß angelegten Studie unter die Lupe.)

Mehr dazu.

Die FAZ schreibt:

Ebenso wird die Kirche nicht als Großorganisation, Landeskirche oder Dekanat wahrgenommen, sondern als Ortsgemeinde, vertreten vor allem und mit überragender Bedeutung durch ihre Pfarrer und wahrgenommen insbesondere bei den sogenannten Kasualien wie Taufe, Trauung und Bestattung. Auch schon in losem Kontakt mit einem Pastor zu stehen, kommt statistisch beinahe einem Garantieschein gleich, dass die betreffende Person in der Kirche bleibt und ihre Kinder taufen lässt.

Die SZ titelt am 06.03.14: „Die Kirche verliert ihre Mitte“

„Nahezu vollständige Gleichgültigkeit“
„Es gibt eine Tendenz zur stärkeren Polarisierung, die Mitte schmilzt ab“, sagte Oberkirchenrat Konrad Merzyn, der für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Studie betreut hat, bei der Vorstellung der Untersuchung in Berlin. Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der EKD, erklärte: „Wir müssen ganz nüchtern konstatieren, dass es eine zunehmende Indifferenz bei Kirchenmitgliedern gibt.“ Er wies aber auch darauf hin, dass drei von vier Mitgliedern nicht daran dächten, die Kirche zu verlassen. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sagte, Mitglied einer Kirche zu sein werde zunehmend zur Frage „eines klaren Ja oder Nein“. Die Kirchenfernen suchten nicht die kontroverse Abgrenzung, es gebe „nahezu vollständige Gleichgültigkeit“. ZUm Artikel.

 

 

Prof. Friedrich Wilhelm Graf (München): Die Attraktivität des Pfarrberufs nimmt ab

Der Professor für Systematische Theologie und Ethik, Friedrich Wilhelm Graf (München), vertrat die Ansicht, dass die Attraktivität des Pfarrberufs abnehme. Im Vergleich zu anderen akademischen Berufen sei der Pfarrer nicht angemessen bezahlt. Daher wanderten Theologen in andere Berufe ab. Zudem spiele Theologie im Selbstverständnis vieler Pfarrer keine Rolle mehr. Diese Entwicklungen hätten die Landeskirchen lange Zeit nicht wahrgenommen und als Arbeitgeber nichts dafür getan, den Beruf des Pfarrers attraktiver zu machen. So gebe es für Theologen keinen nationalen Stellenmarkt. Wer in Bayern sein theologisches Examen gemacht habe, könne nicht ohne weiteres als Pfarrer nach Berlin wechseln.

Nach Grafs Beobachtung zeichnen sich mehrere Trends ab, etwa eine „Feminisierung des Pfarrberufs“. Derzeit seien 32,8 Prozent der Pfarrer weiblich; bei Theologiestudenten stellten Frauen bereits die Mehrheit. Zudem nehme unter angehenden Theologen ein „evangelikaler, neu-pietistischer Frömmigkeitstypus“ zu. Ferner setze sich die EKD nicht ausreichend mit der eigenen Identität auseinander. Graf kritisierte in diesem Zusammenhang die Benennung des Katholiken und ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio (Bonn) zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum 2017. Auch werde die anhaltend hohe Zahl von Kirchenaustritten in Zukunft zu ökonomischen Problemen führen. Lesen Sie mehr bei Idea.

Zur Stellungnahme der Kammer für Öffentliche Verantwortung zum Militäreinsatz in Afghanistan

von Hans Dieter Zepf, Pfarrer i. R., Beinestraße 26, 64846 Groß-Zimmern

Aufgabe des Textes ist es auf der Basis der Friedensdenkschrift von 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ den Afghanistaneinsatz, der schon 12 Jahre dauert, friedensethisch zu reflektieren. So heißt es in der Einführung in Ziffer 1: „Im Jahre 2007 hat die EKD mit ihrer Denkschrift …  friedensethische und friedenpolitische Perspektiven für die weltpolitische Situation am Beginn des 21.Jahrhundert formuliert. Das nachstehende Votum knüpft an diesen Grundlagentext an“.

Da der Text auf der Friedensdenkschrift basiert seien hier wesentliche Aussagen benannt:

Bereits im Vorwort wird die Tendenz der Denkschrift deutlich, wenn Bischof Huber formuliert „In Denkschriften soll nach Möglichkeit ein auf christlicher Verantwortung beruhender, sorgfältig geprüfter und stellvertretend für die ganze Gesellschaft formulierter Konsens zum Ausdruck kommen“ (S. 8).  Diese Aussage und die Tatsache, dass von Seiten des Militärs und der Politik die Denkschrift gelobt wird und zu den Mitgliedern der Kammer ein Bundeswehrgeneral aber kein Pazifist gehörte, sind –  obwohl manches in der Denkschrift  positiv zu bewerten ist – Indizien dafür, dass es nach dem Motto geht: „allen wohl und niemand weh.“

Einige Hinweise sollen das verdeutlichen (Zitate und Hinweise werden durch die jeweiligen Ziffern in den Klammern belegt):

Die Denkschrift sieht sich dem Vorrang der gewaltfreien Methoden
der Konfliktbearbeitung verpflichtet (60, 124, 170-183). Wie sehr allerdings die Denkschrift dem Ultima-Ratio-Denken verhaftet bleibt, belegen  folgende Sätze: Zwar ist „das christliche Ethos …  grundlegend von der Bereitschaft zum Gewaltverzicht (Mt 5,38ff.) und vorrangig von der Option  für die Gewaltfreiheit bestimmt“. Aber: „In einer nach wie vor friedlosen, unerlösten Welt kann der Dienst am Nächsten aber auch die Notwendigkeit einschließen, den Schutz von Recht und Leben durch den Gebrauch von Gegengewalt zu gewährleisten (vgl. Röm 13,1-7).“ (60). Der Hinweis auf Römer 13,1-7 zeigt ein Obrigkeitsdenken, das in der Geschichte fatale Folgen hatte. Auch die Aussagen über Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses von 1530 (100) sind  unkritisch. Mit Hilfe von CA 16 wonach „Christen ohne Sünde … Übeltäter mit dem Schwert bestrafen, rechtmäßig Kriege führen, …  können“  und Römer 13 (Jedermann sei untertan der Obrigkeit …) wurden Kriege immer wieder von der Kirche theologisch legitimiert.

Die Lehre vom „gerechten Krieg“ wird zwar  abgelehnt, nicht aber die Kriterien des „gerechten Krieges“ ( z.B. Erlaubnisgrund, Autorisierung, Verhältnismäßigkeit der Folgen und der Mittel) (102; 103). Damit werden weiterhin Kriege legitimiert.

Die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen ist friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen (108, 109, 162-164). „Aus der Sicht evangelischer Friedensethik kann die Drohung mit Nuklearwaffen  heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet werden“ (162). Umstritten ist in der Kammer, „welche politischen und strategischen Folgerungen aus dieser gemeinsam getragenen friedensethischen Einsicht zu ziehen sind“ (162). Auch in der Frage des Einsatzes nuklearer Waffen bleibt damit eine Hintertür offen. Noch nicht einmal hier schafft es die EKD mit einer Stimme zu reden.

Auf die Problematik des Krieges in Afghanistan wird nicht eingegangen, ebenso nicht auf den Israel-Palästina-Konflikt. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Die Denkschriften (1981 und 2007) sowie andere Äußerungen der EKD zur Friedensfrage lassen eine Ethik des unbedingten Gewaltverzichtes vermissen.

In  dem neuen Text der EKD wird nach Vorwort und Einführung die Stellungnahme in vier Schritten entfaltet.

Zu einigen Punkten in diesen vier Schritten beziehe ich kritisch Stellung.

Der Einsatz in Afghanistan wird miltärisch und zivil bewertet, wobei nicht zu übersehen ist, dass den militärischen Apekten gegenüber den zivilen mehr Aufnerksamkeit gewidmet wird. Wie in der Denkschrift von 2007 wird auch hier militärische Gewalt als ultima ratio legimiert (vgl. Ziffer 2). Möglichkeiten einer friedlichen und gewaltfreien Konfliktlösung spielen so gut wie keine Rolle.

Der Einsatz von Kampfdrohnen wird zwar differenziert problematisiert (Ziffer 16), aber auch hier kein klares Nein, was Ziffer 17 vermuten lässt. In Ziffer 17 wird gefragt „inwieweit es verantwortbar ist, um eines erwarteten militärischen Vorteils willen die Tötung unbeteiligter Zivilpersonen hinzunehmen.“ Die Kammer hat auch hier eine passende Antwort parat: „Jedenfalls im Rahmen internationaler bewaffneter Friedensmissionen ist dem Humanitätsgebot Vorrang (Hervorhebung H.D. Zepf) vor der militärischen Notwendigkeit einzuräumen. Demgemäß sind bei militärischen Kampfmaßnahmen zivile Opfer mit höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen und sollten nicht als ,unbeabsichtigte Nebenfolge´ einer im Übrigen legitimen Zielwahl betrachtet werden.“ Wenn man wie die EKD unter bestimmten Voraussetzungen militärische Gewalt legitimiert, dann ist die logische Konsequenz, dass auch in der Frage der Tötung von Zivilpersonen das Ultima-Ratio-Denken  seine Fortsetzung findet. Diese Argumentation ist theologisch gesehen ein ungeheuerliche Vorgang.

Es wird festgestellt, dass die Sicherheitslage nach wie vor in weiten Teilen des Landes äußerst prekär sei (Ziffer 20).  Die Äußerungen über die Themen Schutz vor Gewalt, Förderung der Freiheit, Abbau von Not und Anerkennung kultureller Verschiedenheit  (Ziffern 20-33) sind weitgehend beschreibend und fragen nicht nach den Ursachen des  Afghanistan-Krieges. Ebenso wenig wird erkannt, dass mit militärischer Gewalt nicht die Voraussetzungen  geschaffen werden können, damit anschließend ein zivile Aufbauarbeit geleistet werden kann. Nur das afghanische Volk selbst kann Frieden schaffen. Dazu sind flankierende gewaltfreie Maßnahmen der Völkergemeinschaft notwendig.

In Ziffer 40 heißt es: „ Seit Gründung der Bundeswehr  ist die Militärseelsorge ein unabhängiger (Hervorhebung H.D. Zepf) Kooperationspartner.“ Diese Feststellung ist falsch.!

Es leidet keinen Zweifel, dass Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ein Recht auf Seelsorge haben. Die Frage ist, auf welche Art und Weise die Kirche diese Aufgabe wahrnimmt. Die behauptete Unabhängigkeit der Militärseelsorge ist nicht gewährleistet, wie die folgenden Hinweise belegen.

1. Der Staat sorgt für den organisatorischen Aufbau der Militärseelsorge und trägt ihre Kosten. Die Kirche begibt sich damit in Abhängigkeit: Die Kosten der Militärseelsorge trägt fast ausschließlich der Staat. Und es ist doch klar, dass ein Staat keine finanziellen Zugeständnisse macht , ohne entsprechende Gegenleistungen zu erwarten. Der Staat erwartet, dass die Militärseelsorge Militär und Staat stabilisiert.

2. Die Militärseelsorge ist in militärisch-staatliche Strukturen eingebunden. Die Freiheit des Evangeliums ist damit eingeschränkt. Die Militärpfarrer/innen stehen im Konflikt zwischen Staat und Kirche (doppelte Loyalität).  Die Militärseelsorge schweigt zu der Tatsache, dass  der Auftrag der Bundeswehr  ausgeweitet wurde zu einer Interventionsarmee. Die Militärseelsorge schärft nicht die Gewissen der Soldatinnen und Soldaten (Kriege, die völkerrechts – und grundgesetzwidrig sind Kosovo-Jugoslawienkrieg, Afghanistankrieg). Im lebenskundlichen Unterricht spielt die Frage der Konfliktlösung mit gewaltfreien Methoden sowie der Weg Jesu, der Gewaltfreiheit gefordert hat, kaum eine Rolle.

3.  Ein Militärpfarrer an der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein verlas im Ostersonntagsgottesdienst 1999 eine Stellungnahme zum Kosovo-/Jugoslawien-Krieg, die er auch an einem Schriftenstand der evangelischen Militärseelsorge auslegte. Er wies unter anderem auf die Völkerrechtwidrigkeit dieses Krieges hin. Ein Offizier und das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr (Behörde des Verteidigungsministerium) schritten dagegen ein.

4. Der damalige evangelische Militärbischof Hartmut Löwe erklärte 1999, Militärgeistliche hätten nicht darüber zu urteilen, ob Auslandseinsätze der Bundeswehr richtig seien.

5. Ein leitender Offizier der Schule für innere Führung sagte 1975: „Wir erwarten von einem Pfarrer, der zu uns kommt als Seelsorger, dass er zur Bundeswehr ja sagt mit allen Konsequenzen, den Ernstfall eingeschlossen“ (in Vorgänge,  Zeitschrift für Gesellschaftspolitik (Heft 4/1975, S. 81). Der Einfluss des Staates auf die Militärseelsorge ist unverkennbar.

Die Barmer Theologische Erklärung von  1934 warnt in ihrer III. These: “Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung dem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugung überlassen.“

Dem katholischen Theologieprofessor Missalla ist zuzustimmen, wenn er formuliert:
„Wenn heute in über 40 Staaten eine katholische Militärseelsorge mit einigen tausend haupt- und ehrenamtlichen Militärgeistlichen – in fast allen Staaten mit Offiziersrang – eingerichtet ist, dann müsste die Kirchenleitung sich eigentlich bewusst sein, dass diese Staaten – nicht zuletzt als Gegenleistung für die investierten Gelder – erwarten, dass die Militärseelsorge die Institutionen Militär und Staat stabilisiert und die Auftragserfüllung der Streitkräfte ebenso unterstützt wie ihre Kampfkraft“ (Heinrich Missalla, Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde.Hitlers Feldbischof Rarkowski.Oberursel 1997, Seite 119).
Die vorgenannten Ausführungen zeigen deutlich, dass die viel gepriesene „Unabhängigkeit  der Militärgeistlichen in ihrer seelsorgerlichen Tätigkeit“ falsch ist.

Wenn Seelsorge unter den Soldaten Sinn haben soll, müssen  Strukturen geschaffen werden, die völlig unabhängig sind von staatlichen Vorgaben.

Erforderlich ist die Kündigung des Militärseelsorgevertrages. Die Kirche muss Seelsorge in Räumen der Gemeinden anbieten. Deshalb: Abschaffung der Militärseelsorge und Einrichtung einer  Soldatenseelsorge, die frei ist von staatlichen Vorgaben!

Nähere Informationen zum Thema: „Abschaffung der Militärseelsorge“ sind unter www.militaerseelsorge-abschaffen.de zu finden.

Schlußbemerkungen

Der Text der EKD bringt, auch wenn er Defizite benennt, keine neuen Erkenntnisse. Wie schon wie bei der Friedensdenkschrift von 2007 macht sich die Kirche zum Handlanger des Staates. Zu den Mitgliedern der Kammer gehört ein Generalleutnant aber kein Pazifist!! Diesen Text hätte auch ein Politiker schreiben können. Die Bundesregierung wird jedenfalls ihre Freude haben und dankbar sein.

Erst, wenn die unheilvolle Allianz der Kirche mit dem Staat  überwunden wird und die Kirche sich dem biblischen Zeugnis des Gewaltverzichtes wieder verpflichtet weiß, wird es zu einer klaren und eindeutigen Redeweise in der Friedensfrage kommen.

EKD: Nun doch einiges gut in Afghanistan

Mit der Äußerung der ehemaligen Kirchenpräsidentin „Nichts ist gut in Afghanistan.“ wurde eine Diskussion in der Kirche und der Gesellschaft über den militärischen Einsatz am Hindukusch ausgelöst.

Die EKD entschloss sich dieser kurzen Analyse mit einem Papier zu ergänzen. Heraus kam ein Konzept des gerechten Frieden, der nun den gerechten Krieg ergänzen sollte.

Jetzt, wo sich der Einsatz seinem Ende nähert nutzt die EKD nochmals die Chance den Krieg zu analysieren. Wie schwer es sein muss die verschiedenen Positionen zu vereinen, zeigt sich daran, das die Kammer selten einer Meinung bei der Bewertung der Situation ist.

Einigkeit besteht fast nur in der Forderung, Militäreinsätze zur Stabilisierung stärker zivil zu begleiten.

Das Papier ist von starkem Pragmatismus geprägt. Die EKD gibt sich staatstragend, so als ob sie eine Verantwortung für die Soldaten vor Ort darin besteht irgendwie den Einsatz zu rechtfertigen. Sie erkennt zwar, dass es massive Probleme unter den Soldaten gibt, da vor Ort massive Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Krieges bestehen. Eine Analyse wie Margot Käßmann sie getroffen hat steht nun nicht im Interesse der Verantwortung zur Militärseelsorge.

Damit erklärt sich auch warum sich das Papier sechzig Seiten zwischen der Würdigung guter Intentionen und der katastrophalen Lage in Afghanistan windet.

Ein pazifistischer Ansatz hat es nicht in die Beurteilung des Krieges geschafft. Gibt es also keine Pazifisten mehr in der Kirche? Oder hat die EKD Angst, sie verliere Rückhalt in der Truppe und der Politik, wenn sie sich nicht zu einen jein mit mehreren wenn und aber durchringt. Doch dann stellt sich bei beiden die Frage, ob ihnen mit einer ehrlichen Diskussion nicht mehr gedient ist.

 

Folgendes vermisse ich daher in dem Papier:

– Die Praxis mutmaßliche Kombattanten mit Drohnen zu töten wird generell kritisiert. Jedoch gleichzeitig der deutsche Anteil daran nicht betrachtet. Die gezielte Tötung mit Drohnen wird als eine rein amerikanische Angelegenheit dargestellt. Ich erachte es in einem gemeinsamen Krieg jedoch als eine blauäugige Ansicht, die Taten von Verbündeten hätten keinen Einfluss auf das eigene Engagement. Bei einer Bewertung des Afghanistaneinsatz muss auch klar erkennbar seine welche gemeinsamen Regeln für einen Einsatz unabdingbar sind. Daher müssen auch Drohnennangriffe, Folter und das rechtsfreie Status von Guantanamo Teil der Betrachtung eines gemeinsamen Krieges sein.

– Die schuldhafte Verstrickung der westlichen Wirtschaftsmächte in die Vorstufen des Konfliktes wird nicht betrachtet. Das Unrecht und Gewalt zu weiterem Unrecht und Gewalt führen ist ein bekanntes Phänomen. Die angebliche Notwendigkeit militärischer Einsätze liegt oftmals in Versäumnissen oder Fehlern der Vergangenheit begründet. Konsequenzen für die Außen-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik müssen an dem Leitbild eines gerechten Friedens gezogen werden. Der Verzicht auf militärische Möglichkeiten führt eventuell auch zu einem Umdenken der Politik im Vorfeld.

– Bei der Militärseelsorge vor Ort ist es sicherlich wichtig die positiven Intentionen des Einsatz zu bedenken. Bei der ethischen Beurteilung hat dieser militärseelsorgerische Duktus aber nichts zu suchen. Ich behaupte den Soldaten und Soldatinnen ist mehr damit geholfen, wenn sich die Bereitschaft der Politik sie in solche Einsätze zu schicken verändert, als wenn man die Lage schön redet. Die Kirche wird in diesem Papier nur einer ihrer Verantwortungen gerecht.

– Bei der Begründung des Afghanistankrieges folgt die Kammer in weitem Teilen der offiziellen Argumentation der Politik, wonach es sich erst um einen Verteidigungsfall handelte, danach der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung Ziel sei und später humanitäre Absichten hinzugekommen seien.

Schon an der Begründung des Krieges lassen sich massive Zweifel ziehen. Das Al Kaida ihre Operationsbasis verlagern würde war schon vor beginn des Krieges absehbar. Daher stellt sich die Frage, ober der Krieg nicht eine Racheaktion einer zu tiefst getroffenen Nation/Wertegemeinschaft ist, die sich ihrer Verletzlichkeit bewusst wurde.

– Die Kosten des Krieges werden nicht in eine Relation zu ihrem Nutzen gesehen. Der Krieg kostet unsummen an Geld. Daher sollte man sich auch Gedanken machen, welche positive Dinge man mit dem Geld statt Leichenberge bewirken können.

– Eine kritische Betrachtung der humanitären Kriege findet nicht statt. Interessant wäre zu beobachten, warum sich innerhalb von nicht einmal zehn Jahren eine Nation für die ein Außeneinsatz ihrer Armee kaum denkbar war sich in mehrere militärische Abenteuer stürzt. Die neue Vermarktung des Krieges muss daher kritisch beurteilt werden.

 

Wenn der Pazifismus in der Kirche verloren geht, befürchte ich wird der Vorwurf von Erich Kästner wieder zutreffen können:

Vier Jahre Mord und ein paar Kränze heute.

Verlasst euch nie auf Gott und seine Leute!“

(Stimmen aus dem Massengrab)

Erheblicher Dissens zu den Angaben bei Realwert-Prognosen innerhalb der EKD- Finanzexperten.

Die EKD und die Landeskirchen bauen ihre Downsizing-Strategien auf der sog. „einfachen Formel“ auf. Einer Prognose drastisch sinkender Kirchensteuern bis 2030. Mehr dazu hier in den wort-meldungen an anderer Stelle.

Da die Argumentation aufgrund steigender Steuern nicht mehr zieht, griff man auf die Entwicklung gemäß dem Realwert, also dem inflationsbereinigten, den Kaufkraftverlust berücksichtigende Werte zurück. Dieser Rückgriff ist eigentlich nicht angemessen, sondern zeigt nur das erkenntnisleitende Interesse der Beteiligten (vgl. dazu den Beitrag „Rätsel – Erkenntnissgewinne – Aufklärung“ in dieser Ausgabe).

Selbst dazu, zum Kaufkraftverlust, spricht die EKD mit unterschiedlichen Zungen – und macht weit voneinander abweichende Angaben. So erklärt der Finanzdezernent der EKD, Thomas Begrich, der Kaufkraftverlust betrage seit 1994 20%, während EKD-Vize Winterhoff auf der EKD-Synode in Düsseldorf von 30% spricht – im selben Zeitraum.  

Im gleichen Bericht wird der Finanzdezernent der EKD, Oberkirchenrat Thomas Begrich zitiert. Begrich begründet den Zuwachs „mit der höchsten Erwerbstätigenquote seit der deutschen Wiedervereinigung und den hohen Tarifabschlüssen“. Etwas eigenwillig formuliert er: „Die Menschen zahlen nicht mehr Kirchensteuern, sondern mehr Menschen zahlen Kirchensteuern.“ Begrich fordert einen „sehr verantwortlichen“ Umgang mit den Kirchensteuermitteln. Die Einnahmen des Jahres 2012, die bei 4,8 Mrd. € liegen, hätten eine um 20% geringere Kaufkraft als die Einnahmen aus 1994. Zur Quelle.

Kaufkraftverlust nach Winterhoff (EKD-Synode):

Vielleicht ein Wort zur gesamten Ausgangslage. …Wir hatten im letzten Jahr das höchste nominale Kirchensteueraufkommen in der EKD, aber ich lege wert darauf / auf die Feststellung das das nominale Kirchsteueraufkommen nun überhaupt nichts sagt, wenn man auf der anderen Seite nicht den Kaufkraftverlust entgegen setzt. Seit 1994 Kirchsteueraufkommen 9 % Zunahme, Kaufkraftverlust in der gleichen Zeit 30 %. Von meiner eigenen Landeskirche kann ich sagen, wir können uns seit den neunziger Jahren real über ein Drittel weniger leisten. Und von daher ist die Redeweise vom Reichtum der Kirche, aus meiner Sicht, doch sehr zu hinterfragen. Ich habe das weiter ausgeführt in der Haushaltsrede. Wir haben, das ist meine Prognose jetzt mittelfristig, zur Zeit eine relativ stabile, leicht positive Seitwärtsbewegung auch noch in den nächsten Jahren bei der Kirchensteuer zu erwarten. Das heißt für die Struktur der Kirche: Wir haben eine Atempause, das Notwendig zu tun und ich hoffe, dass diese Atempause möglichst lange anhält, dass wir in keinen hektischen Aktionismus verfallen. Zur Quelle.