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Rezensionen

Buchvorstellung: Freiwillig zu Diensten? – Über die Schattenseiten des Ehrenamts.

Ehrenamtliche sind im Kirchlichem Alltag oft unverzichtbar. Auch über die Grenzen der Kirchen hinaus läuft vieles nur dank des bürgerschaftlichen Engagements. Immer mehr wird das Ehrenamt als Ressource erkannt und gefördert.

In ihrem Buch „Freiwillig zu Diensten?“ schreibt Claudia Pinl über die Schattenseiten des Ehrenamts. Häufig ersetzt das Ehrenamt angesichts knapper Kassen reguläre Arbeitsplätze. Die Folgen sind eine Dequalifizierung der Hauptamtlichen und eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen.

Fehlerhafte Erinnerungen an den ersten Weltkrieg

Oliver Janz: „14 – Der große Krieg“ – Fehlerhafte Erinnerungen an den großen Krieg.

Von Brigitte Baetz

Kurz vor dem Jahrestag versuchen mehrere Bücher, den Ersten Weltkrieg
wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rufen…
Oliver Janz hat mit seinem Buch „14 – Der große Krieg“ ein umfassendes
Standardwerk über den Ersten Weltkrieg, seine Vorgeschichte und seine
Auswirkungen vorgelegt. Und obwohl er dabei auf emotionale Bewertungen
verzichtet, erschrickt man auch noch 100 Jahre nach den Ereignissen –
über das grenzüberschreitende Versagen von Politikern, Medien und
Intellektuellen, die in ihrer großen Mehrheit den Krieg in diesem Ausmaß,
in dem er stattfand, nicht gewollt, aber auch nicht verhindert haben.
Zur Rezension.

Prof. Jochen Krautz: Ware Bildung – Buchbesprechung

Der große Umbau deutscher Hochschulen und die neuen Studiengänge werden weder zu besserer Anschlussfähigkeit deutscher Abschlüsse führen noch zu einer besseren akademischen Bildung. Das ist nur ein Punkt in Jochen Krautz Generalabrechnung mit der Umgestaltung des deutsche Bildungssystems, für die die Schlagworte Bologna und PISA stehen.

Unter dem Zwang der Effektivierung, des Benchmarking, Ranking und der Outputorientierung ist Bildung verloren gegangen, und deshalb stellt Krautz den Bildungsbegriff an den Beginn seiner Kritik. Als Kunsterzieher leitet er ihn anschaulich und gut verständlich aus der Betrachtung eines Reliefs über dem Tor einer tschechischen Volksschule her. Bildhaft und angenehm lesbar wie der Einstieg ist das ganze Buch geschrieben. Bildung als Persönlichkeitsentwicklung und Erziehung als ein personaler Prozess zwischen Lehrer und Schüler sind verloren gegangen, stattdessen geht es nur noch um die Ausbildung der eigenen Arbeitskraft und der quasi industriellen Produktion von Kompetenzen, um das Human-Kapital der künftigen Ich-AGs.

Zur immer noch aktuellen Buchbesprechung von Wolfgang Lieb von 2007.

Gütekraft – von Charismatikern der Gewaltfreiheit lernen

Buchvorstellung:

Vorzustellen ist das weitgespannte Forschungswerk des Essener Pfarrers und Friedensforschers Martin Arnold über „Gütekraft“.

Von Paul-Gerhard Schoenborn

Das Wort „Gütekraft“ noch recht ungebräuchlich im deutschen Sprachraum. Es handelt sich um die Übertragung dessen, was Mohandas K. Gandhi mit einem von ihm geschaffenen speziellen Begriff „Satyagraha“ bezeichnete, die besondere, von ihm entwickelte, auf grundlegende Veränderung schlechter gesellschaftlicher Zustände abzielende Methodik, die im weitesten Sinn auf Anwendung von Gewalt bewusst verzichtet. In der englischsprachigen Literatur, die sich darauf bezieht, spricht man von „Nonviolence“.

Im Deutschen hat man in der Regel Nonviolence“ mit „Gewaltfreiheit“ bezeichnet oder von „Gewaltfreier Aktion“ gesprochen. Diese Übertragungen, sowohl die englische wie die deutsche, treffen aber, so Martin Arnold, nicht die positive Fülle dessen, was Gandhis Satyagraha“ ausmacht und was man bei der Inanspruchnahme dieser Streitkultur erfährt, in der es um gesellschaftliche Veränderung geht. Darum plädiert er seit langem- wie auch andere Friedensforscher – nun auch in seinem großen Werk für die Verwendung des Wortes „Gütekraft“.

Der neue Begriff steht für ein starkes allgemein-menschliches Potenzial, das in unserer Gesellschaft bisher wenig beachtet wurde. Dieses Potential, so wird in dem gesamten Werk Arnolds ausgeführt, ist in jedem Menschen. Es ermöglicht, auf kluge Weise Missstände abzubauen und Konflikte zu lösen. Es widerspricht dem weitverbreiteten gesellschaftspolitischem Zynismus und auch einem christlichen anthropologischem Pessimismus, die beide in lähmende Resignation führen. Denn es basiert darauf, dass jeder Mensch wohlwollend und gerecht behandelt werden möchte und im Grunde auch so handeln möchte. Es beschreibt ein tätiges Wohlwollen, durch das eine positive Interaktionsdynamik entstehen kann. Als Methode der Konfliktbearbeitung ist Gütekraft geeignet, davon ist Martin Arnold überzeugt, bei Einzelnen, in Gesellschaft und Politik bis zur globalen Ebene Missstände nachhaltig abzubauen.

Martin Arnolds Werk ist interessanterweise in zwei verschiedenen Verlagen erschienen: Der Band aus dem Nomos-Verlag, Baden-Baden

Martin Arnold: „Gütekraft – ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt“, mit einem Geleitwort von Johan Galtung, Nomos Verlag, Baden-Baden 2011, 283 Seiten, 19,00 Euro. ISBN 978-3-8329-6975-2

bildet den wissenschaftlich-abstrakten Rahmen des Werks. Die Seiten 1 – 80 bilden den Teilband 1 und leiten in das ganze Projekt ein. Die Seiten 81 -283 ziehen als Teilband 5 theorie-praktische Folgerungen aus den Teilergebnissen der drei anderen Bände, die im Verlag Bücken & Sulzer, Overath erschienen sind:

Martin Arnold: „Gütekraft – Hildegard Goss-Mayrs christliche Gewaltfreiheit“, Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2011, 149 Seiten. 12,50 Euro. ISBN 978-3-936405-65-1

Martin Arnold: „Gütekraft – Gandhis Satyagraha“, Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2011, 411 Seiten, 24,80 Euro. ISBN 978-3-936405-66-8

Martin Arnold: „Gütekraft – Bart de Ligts humanistische Geestelijke Weerbaarhe“, Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2011, 321 Seiten, 17,90 Euro.
ISBN 978-3936405-67-5

In diesen drei Büchern werden drei prominente Friedensaktivisten vorgestellt. Es sind Hildegard Goss-Mayr, eine katholische Österreicherin, Mohandas K. Gandhi, ein Hindu, und der Niederländer Bart de Ligt, der als Calvinist begann, aber zu einem entschiedenen atheistischen Humanisten wurde. Diese Menschen, um deren Lebenswerk es geht, sind in total verschiedenen geistig-spirituellen Kontexten zu ihren auf Vermehrung von Frieden abzielenden Reflexionen und Aktionen gekommen. Es geht Martin Arnold um deren grundsätzlichen Äußerungen, um Freilegung der Triebkräfte hinter ihren Friedensaktivitäten. und ihre erfolgreichen gesellschaftspolitische Emanzipationskampagnen. Er möchte herausbekommen, ob es jenseits ihrer ideologischen Kontexte etwas Gemeinsames, etwas Verbindendes, etwas in ganz andere Situationen Übertragbares gibt.

Ich wende mich zunächst diesen drei Teilbänden zu. Martin Arnolds Vorgehensweise ist in jedem Band gleich. Er informiert über die entscheidenden Knotenpunkte im Leben dieser drei Charismatiker der Gewaltfreiheit. Er analysiert zentrale authentische Dokumente, Selbstzeugnisse und Publikationen. Er wertet zudem Darstellungen oder Bewertungen durch andere Forscher aus. Sein Bestreben zielt darauf hin, festzustellen, wie und in welchen Teilschritten sich Gütekraft in Friedensaktionen bei diesen engagierten Menschen zur Geltung kam und auf die ausgestrahlt hat, die von ihnen inspiriert und aktiviert wurden.

Hildegard Goss-Mayr

Hildegard Goss-Mayr (geboren 1930), Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes, ist tief verwurzelt im christlichen Glauben katholischer Prägung. Gemeinsam mit ihrem Mann Jean Goss, den mystische Erfahrungen in deutscher Gefangenschaft zur aktiven, in der Erfahrung der Liebe Gottes gründenden Feindesliebe antrieben, arbeitete sie sich immer tiefer in Theorie und Praxis gewaltfreier Friedensaktionen ein. Sie inspirierte mit nachhaltigem Erfolg die gewaltfrei-gütekräftigen Bewegungen zur Beendigung der Marcos-Diktatur auf den Philippinen (1986) und der Ratsiraka-Diktatur auf Madagaskar (2001). Sie begleitete über zwei Jahrzehnte Hungerstreiks und andere Aktionen der gewaltfreien lateinamerikanischen Bewegung „Justicia y Paz“, eines wichtigen Seitenzweigs der Theologie der Befreiung, in engem Kontakt mit dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel.

In mehreren Büchern, die zu Handbüchern gewaltfreier Aktionen wurden, reflektierten Hildegard Goss-Mayer und Jean Goss ihre Erfahrungen. Zwei dieser Werke sind leicht greifbar in der von Thomas Nauerth herausgegebenen digitalen „Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie“ (DbSOB67, Berlin 2004), nämlich: Hildegard Goss-Mayr: „Der Mensch vor dem Unrecht – Spiritualität und Praxis gewaltloser Befreiung“ und: Hildegard Goss-Mayr, Jean Goss: „Evangelium und Ringen um den Frieden – Einüben in die Gewaltfreiheit des Evangeliums und die Methoden zum Engagement“.

Martin Arnold stellt minutiös dar, wie die in Wien lebende „Grand Old Lady“ der gewaltfrei-gütekräftigen Konfliktlösung das Funktionieren ihres wirkungsvollen Engagements für Gerechtigkeit und Frieden vor und nach großen Aktionen reflektiert und in Schulungen und Handbüchern weitergegeben hat. Er arbeitet heraus, dass die Begründung ihres gütekräftigen Handelns transzendente, damit unverfügbare Komponenten hat, nämlich die Gewissheit, dass ihre Liebe zu den Menschen, auch den Konfliktgegnern, für Hildegard Goss-Mayr von dem herrührt, was Gottes Liebe in ihrem Herzen entzündet hat. Über diese religiöse, genauer: christliche Dimension sagt sie einmal: „Wir wussten, dass in dieser Pioniersituation letztlich nicht wir es sind, die wirksam werden, sondern Gottes Kraft durch uns.“ (Teil 2 der Gesamtstudie, S. 66). Martin Arnold ist es aber wichtig festzustellen, dass Hildegard Goss-Mayr zugleich davon überzeugt ist, dass , dass „Gütekraft eine in jeden Menschen grundgelegte Urkraft ist“, nämlich dass in jedem potentiell „die Kraft zu lieben, gerecht zu sein und in der Wahrheit zu stehen“ angelegt ist. (S.65). Am Schluss dieses Teilbandes konzentriert Martin Arnold die in der Praxis der christlichen Friedensaktivistin bewährten und pädagogisch durchreflektierten Handlungsschritte in graphischen Zusammenfassungen, die mich an (etwas komplizierte) Tafelbilder in früheren Schulklassen erinnern.

Mohandas K. Gandhi

Mohandas K. Gandhi (1869 – 1948) wurde weltweit bekannt als politischer und geistiger Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, die durch gewaltfreien Widerstand („ziviler Ungehorsam“) und spektakulären Fastenaktionen („Fasten bis zum Tode“) schließlich im Jahre 1947 das Ende der britischen Kolonialherrschaft herbeiführte. Zuvor hatte der indische Rechtsanwalt in Südafrika gegen die rassistische Diskriminierung seiner dort lebenden Landsleute gekämpft und für die Gleichberechtigung aller Landesbewohner eingesetzt. Man legte ihm den Ehrennamen „Mahatma“ = „Große Seele“ bei. In Folge seiner gewaltfreien politischen Aktionen verbrachte er acht Jahre in Gefängnissen. Im Jahre 1948 erlag er einem Attentat.

Mahatma Gandhis Grundhaltung Satyagraha, das beharrliche Festhalten an der Wahrheit und Vertrauen auf Güte, umfasst neben Ahimsa, der Gewaltlosigkeit, noch weitere ethische Forderungen wie etwa Swaraj, was sowohl individuelle als auch politische Selbstkontrolle und Selbstbestimmung bedeutet. Gandhi sprach Gefühle und Gewissen seiner Gegner an, um sie umzustimmen und als Freunde bzw. Verbündete zu gewinnen.

Wir wollen uns nach der leisen Stimme des Herzens in unserem Inneren richten und uns nicht davon abhängig machen, ob andere dasselb tun. Dann strahlen wir Güte auf alle aus und sie strahlen sie zurück.“ (Teilband 4, S. 21) Wie stellt sich der Hindu die Wirkungsweise seines persönlich-gesellschaftlich-politischen Gütekraft-Konzepts vor? Dazu hat Martin Arnold die einhundert (!) Bände (!) von Gandhis ‘Collected Works’ mithilfe der seit wenigen Jahren vorliegenden Digital Edition ausgewertet. So ist – sehr detailliert und kleinschrittig – dieses umfangreichste Buch seines Werkes entstanden. Wer sich in Zukunft nicht nur schnell und oberflächlich, sondern gründlich mit Gandhi beschäftigen will, sollte zu diesem Buch greifen, denn hier wird er umfassend informiert. Ausgehend von Gandhis Begriff der Seele entwickelt Martin Arnold einen neuen, einfachen Ansatz zum Verstehen der Großen Seele (= Mahatma) für westlich geprägte Menschen. Gandhi habe nicht nur geredet, sondern habe „gewaltfreie Waffen“ entwickelt, mit denen er durchaus experimentierte und deren Grenzen er erfuhr. Sein ganzes Leben, sagt Martin Arnold, sei reflektiertes Experiment gewesen. Und er war damit politisch erfolgreich.

Auch dieser Band weist am Ende eine graphische Zusammenfassung auf: „Satyagraha – Das Ideal und der Vorgang seiner Verwirklichung: Alle Menschen wissen unbewusst oder bewusst: Im Wertvollsten des Menschen sind alle miteinander verbunden. Daher neigen allezu Wohlwollen und Gerechtigkeit allen gegenüber. Das Wertvollste ist die Potenz zur Selbstlosigkeit, die in vollkommener Selbstlosigkeit gipfelt. Selbstlosigkeit schließt Satyagraha für eigene Interessen aus.“ Das ist ein unerreichbares Ideal, aber durch Übung, durch Selbstdisziplin möglich. (Teilband 4, S. 372)

Bart de Ligt

Bart de Ligt (1883-1938) wurde von Freunden und Mitstreitern „Gandhi des Westens“ genannt. Mir war er bislang nicht bekannt. Dass es in den friedensbewegten achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine engagierte, teilweise liebenswert chaotische Friedensbewegung in den Niederlanden gab, habe ich in seinerzeit in persönlichen Begegnungen wahrgenommen. Nichts aber wusste ich davon, dass seit der Zeit des Ersten Weltkriegs bis zur Okkupation Hollands durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg dort eine europaweit wirksame humanistisch-pazifistische Bewegung gab, die aber nach 1940 völlig verschwand. So nehme ich an, dass dieser Teilband 4 über Bart de Ligt, einem der wichtigsten Vordenker und Vorkämpfer dieser untergegangenen niederländischen Friedensbewegung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht nur für mich eine wichtige Wahrnehmungserweiterung darstellt, sondern auch für andere an der Geschichte der Friedensbewegung Interessierte.

Bart de Ligt nennt sein erfolgreich angewandtes gewaltfreies Kampfkonzept für Gerechtigkeit und Frieden „Geestelijke Weerbaarheid“ (wörtlich: geistig-sittliche Wehrhaftigkeit). Darüber dachte er lebenslang nach, sie ist die Basis seines Friedens-Wirkens. Sein Denk- und Handlungsaxiom lautet: „Die Wahrheit und die Menschlichkeit – dies sind Kräfte, mit denen im Leben auch gerechnet werden muss.“ (Teil 4 der Gesamtstudie, S. 19) Und zwar in mir, bei meinen Freunden, aber auch bei meinen Gegnern.

Der Sohn eines calvinistischen Pfarrers studierte Theologie und wurde selbst auch im Jahre 1910 Pfarrer in der kleinen Dorfgemeinde Nuenen. Einer seiner Vorgänger war der Vater Vicent van Goghs! Er trat in diesem Jahr dem „Bond van Christen-Socialisten“ bei und wwurde ihr geistiger Führer. Während des Ersten Weltkriegs engagierte sich energisch für Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Er geriet deswegen in verschiedene Konflikte, wurde vor Gericht gezogen und ging für einen kurzen Zeitraum ins Gefängnis, weil er eine Geldstrafe nicht akzeptierte. Seine konservative Kirche und er entfremdeten sich zunehmend. Statt mit biblisch-theologischer Literatur befasste er sich mit anarchistischen Autoren. Im Jahr 1918 gab er sein Pfarramt auf und trat konsequenterweise aus der Kirche aus. Er lebte hinfort als engagierter Redner und freier Schriftsteller. Bedeutende Wegmarken seines Erfolges sind: 1921 Gründung der War Resisters‘ International, 1923 Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, 1938 Gründung der ersten Friedensakademie.

Martin Arnold erarbeitet in diesem Teilband 4 nicht nur die Biographie. Er stellt vor allem das Konzept des entschiedenen Freidenkers und Sozial-Anarchisten dar und analysiertseine Vorstellungen unter Wirkungsaspekten. Eine Besonderheit der Arbeit liegt in der Liste von fünfundsechzig „Direkten Aktionen“ für den Frieden bzw. gegen den Krieg seit der Antike, die er aus Bart de Ligts umfassenden Forschungen zur Menschheitsgeschichte unter Friedensgesichtspunkten zusammengestellt hat. (S. 122 – 142). Auch hier fasst er am Ende des Teilbandes die geistigen Prozesse und die dem entsprechenden praktischen Schritte in mehreren graphischen Übersichten zusammen.

Martin Arnolds Auswertung

Ich komme zum Schluss nun wieder auf den wissenschaftlich-abstrakten Rahmen des Werkes: Gütekraft – ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit …“ aus dem Nomos Verlag zurück und zwar auf den Teilband 5, die Seiten 81 -283.

Martin Arnold hatte bei den drei prominenten Friedenskämpfern durch abstrahierenden Reflexion jeweils eine idealtypische Struktur erarbeitet und eine Abfolge methodischer Schritte graphisch dargestellt. Er vergleicht nun die Komponenten in den Grundanschauungen und entwickelt entsprechende Tabellen (Teilband 5, S. 97ff). So gelingt es ihm, das Gemeinsame in den drei verschiedenen Plausibilitätsstrukturen sichtbar zu machen und es auf generelle Übertragbarkeit beziehungsweise Anwendbarkeit zu befragen.

Die Synthese, in mehreren Kapiteln erläutert, ist verblüffend:. Das Vertrauen auf Gütekraft ist nicht an weltanschauliche – christliche, hinduistische, atheistisch-humanistische gebunden. Ganz gleich, welchen ideologischen Background ein Mensch oder Aktionsgruppen haben, es lohnt sich, bei Konflikten und Konfliktlösungen Aktionen durchzuführen, die sich auf Gütekraft verlassen und diese zum Zug kommen zu lassen.

Der Aufweis der einzelnen Schritte von Gütekraft-Prozessen durch Martin Arnold hat einen spürbaren Aufforderungscharakter. Leser seines Werkes sollen bei sich erwägen, ob sie bei passender Gelegenheit nicht selbst – auf diese oder in abgewandelter Weise – es nicht auch mit Gütekraft versuchen wollen.

Der große norwegische Friedensforscher Johan Galtung stellt in seinem Geleitwort dem Werk Martin Arnolds ein hohes Lob aus: „Martin Arnold hat den Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Friedensforschung im Besonderen mit der Meisterleistung der Abfassung dieses Buches über die Kraft, die darin liegt, gut zu sein und Gutes zu tun, einen riesigen Dienst erwiesen. Es ist sicher die umfassendste Arbeit über Theorie und Politik der Nonviolence. … Glückwünsche und Dank an Martin Arnold!“ (Teilband 1/5, S. 9)

Paul Gerhard Schoenborn, Dellbusch 298, 42279 Wuppertal, p-g-s@gmx.de

„So schnell hat noch selten ein Buch eine Gesetzesänderung bewirkt“

Auch sein Buch „Die Selbstbediener“ trug dazu bei, dass die Amigoaffäre ins Rollen kam. Darin behauptet der Staatrechtler Hans Herbert von Arnim, dass sich in keinem anderen Bundesland die Politiker den Staat derart unverfroren zur Beute gemacht hätten, wie in Bayern.

Jetzt legt Arnim nach, nicht mit einem neuen Buch, sondern mit einer erweiterten Neuauflage. Lesen Sie mehr.

„Man weiß, dass ich niemanden fürchte“ – Rezension

Häufig reduziert sich der Kirchenkampf auf die organisatorische Ebene der Bekennenden Kirche gegen die Deutschen Christen. Hinter diesen Großgewichten geraten dann die einzelnen Pfarrer und ihre Gemeinden in Vergessenheit. Doch in seinem Buch „Man weiß, dass ich niemanden fürchte“ beschreibt Hans-Heinrich Herwig das Schicksal eines Pfarrers. Karl Grain (1881-1957) war Pfarrer in Arheiligen bei Darmstadt. Obwohl Grain tief in wichtigen Theologenfamlien verwurzelt ist und seine Loyalität zum Staat anfangs nicht hinterfragt wird, kommt für ihn eine Unterordnung unter einen Reichsbischof von Hitlers Gnaden nicht in Frage.

Hans-Heinrich Herwig lässt in dieser Biographie seinen Schwiegergroßvater oft selber in Zitaten zu Wort kommen. Damit gelingt es die Geschichte eines Pfarrers uns seiner Gemeinde zu erzählen. Solidarität, Unterstützung und Konflikte sind keine Politik, sondern das Leben mit der Gemeinde vor Ort.

Was George Sandel mit der Doppik/NKF in der Kirche zu tun hat

George Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann, Berlin 2012

Als Papst Benedikt die USA besuchte, las er Messen in Stadien in New York und Washington. Für die kostenlos ausgegebenen Karten entwickelte sich ein Schwarzmarkt, bei dem bis zu 200 Dollar für eine Karte geboten wurde. Die Kirche protestierte: „Die Feier eines Sakraments sei mit Geld nicht aufzuwiegen“. – Dies ist nur eines vieler Beispiele, wie Markt- und ökonomistisches Denken in alle Bereiche des Lebens eingedrungen sind: in die Politik, die Medizin, die Bildung, Sport – und auch in Kirche und Religion.

Für Den Autor und Harvard- Professor Sandel stellt sich anhand etlicher Beispiele aus der Lebenswirklichkeit die Frage: wollen wir eine (zu begrüßende) Marktwirtschaft oder eine die Gesellschaft im Kern bedrohende Marktgesellschaft? Bisher verhinderte ein prekärer Diskurs die Dominanz von Argumenten über das gute Leben in die Politik – und ließ banales, marktkonformes, gegenüber Werten neutrales Denken triumphieren. Was es daher heute braucht ist eine Debatte darüber, in welchen Bereichen Märkte dem Gemeinwohl dienen und wo sie eben nichts zu suchen haben. Denn: Märkte und Kommerz verhalten sich gegenüber dem Charakter der von ihnen erfassten Güter eben nicht neutral, sondern verändern ihn. Im eingangs genannten Beispiel der Papstmesse wird das offensichtlich. Die Reaktion zeigte, dass man erkannt hat, dass Güter beschädigt oder entwertet werden, wenn man sie kommerzialisiert, im Beispiel also die Eucharistie käuflich zu erwerben ist. Das wird in dem besonderen Fall zwar besonders eindrücklich, trifft aber generell zu: Der Charakter der Güter verändert sich unter Marktbedingungen. Diese Erkenntnis führt zwangsläufig zu der Frage, wie weit denn der Markt reichen dürfe. Und wo dem Markt Grenzen gezogen werden müssen, damit die Gesellschaft selbst keinen Schaden nimmt. Denn Marktdenken führt anders als herrschende (und für Crashs verantwortliche) Ökonomen gerne behaupten, in anderen Sektoren als der Ökonomie selbst eben gerade nicht zu höherer, sondern zu geringerer Wirksamkeit. Sandel belegt das bspw. mit Studien zur intrinsischen Motivation aus der Schweiz. Sie haben gegenüber der marktkonformen extrinsischen Motivation eine geringere Wirkung. Damit sind wir mitten in einer in der kirchlichen Reformdebatte heiß diskutierten Frage. Weil die kirchlichen Reformen ja gerade die intrinsische Motivation zerstört wie etwa Prof. Michael Welcker oder Prof. Isolde Karle u.a. nicht müde werden zu betonen. Und folglich die von den Reformern intendierte Wirksamkeit kirchlicher Arbeit gerade schwächen.

Ein weiteres zentrales kirchliches Reformthema ist durch die Darstellung von Sandel ebenfalls berührt, wenngleich dort selbst nicht erwähnt: die Frage des Rechnungswesens. Denn Märkte und Kommerz verändern den Charakter der von ihnen erfassten Güter – so Sandel. Das gilt in der Kirche analog für das Rechnungswesen. Eine Umstellung von der (erweiterten!) Kameralistik auf die Doppik ist wie wir in Beiträgen im Monatsthema Mai 2013 darlegen konnten, organisatorisch eine Herausforderung, ein „Jahrhundertprojekt“. Und es verursacht hohe Kosten bei einem nicht feststellbaren Nutzen (vgl. den Beitrag von Prof. Bogumil, Bochum, im Dt. Pfarrerblatt). Allein diese Fakten wiegen überaus schwer. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass mit der Doppik ein Marktdenken in die Kirche eindringt, das dem Charakter der Kirche diametral entgegenläuft. Und das sich dem Gegenstand gegenüber nicht neutral verhält, sondern seinen Charakter verändert. „Die Feier eines Sakraments sei mit Geld nicht aufzuwiegen“, stellten die Kirchen in den USA anlässlich des Schwarzmarktes für die Karten zur Papstmesse fest. Analog gilt noch viel mehr: „Der Wert der/einer Landeskirche lässt sich monetär nicht bewerten!“. Genau das geschieht aber in der Bilanz. Die Bilanz bewertet die Summe dessen, was Kirche ausmacht und zu kirchlichem Handeln gehört, monetär. Aus theologischer Sicht geht das aber gar nicht! Spätestens dann, wenn eine ernsthafte theologische Debatte um die Doppik einsetzt, spätestens dann wird die Doppik nicht nur als (im Vergleich zu einer erweiterten Kameralistik) nutzlos und teuer, sondern als im Kern schädlich erkannt werden.  Denn Doppik/NKF ist kein Beleg einer sich auch in der Administration endlich modernisierenden, auch wirtschaftlich handelnden Organisation, sondern Symbol einer angepassten Marktkirche – und damit eine Parallele zu der von Sandel beschriebenen gesellschaftsschädigenden Marktgesellschaft. 

Pfr. Friedhelm Schneider

Der Zorn Gottes – eine Buchbesprechung

Es soll Menschen geben, die die Süddeutsche wegen der Kommentare von Heribert Prantl lesen. Und es soll PfarrerInnen geben, die insbesondere vor hohen Festtagen zur Süddeutschen greifen. Wegen der dann ganz speziellen Kommentare des Chefredakteurs. Dann nämlich schreibt Prantl nicht über den politischen Betrieb, sondern über die großen Fragen des Lebens und Sterbens, vor die das jeweilige Fest die Menschen stellt. Und das wird bisweilen eine regelrechte Predigt. Und damit schreibt Prantl auch ein bisschen für die PfarrerInnen und Pfarrer und die Fragen, die das jeweilige Fest an sie stellt. Kurz: Prantl wird zur Quelle ihrer Inspiration – oder könnte es werden. Denn die Zahl seiner Predigt-Kommentare ist angewachsen und füllt mittlerweile ein ganzes Buch: „Der Zorn Gottes – Denkanstöße zu den Feiertagen“.

 

‚Selbst denken‘ – ein Buchhinweis

Wir leben in einer Krisenzeit – was aber sind die tatsächlichen und was nur vermeintliche Krisen?  Was sind die Ursachen? Was sind die Wirkungen? In verwirrenden Analysen wird beides nicht selten vermischt – bisweilen wie die unflätige Sau, wie Martin Luther sagen würde. Und alle sind verwirrt.

Obwohl Ursachen also im Dunkel bleiben, werden aber scheinbar zwingende ‚Lösungen‘ von Führungsspitzen „alternativlos“ aus dem Hut gezaubert. Protestanten aber wissen: auch Päpste und Kaiser können irren. Und nicht allein sie. Luthers Erkenntnisprozess muss wohl in allen Generationen neu für die jeweilige Zeit gewonnen werden.

Dann kann vieles anders werden, meint Harald Welzer. Sein Rezept ist also nicht ganz neu, aber doch neu überzeugend: „Denken muss er, der Mensch, selbst denken.“

Und:  „In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Entwicklungsrichtung dem zuwiderläuft, was zukunftsfähig wäre, reicht Denken allein aber nicht aus: Es muss auch etwas getan werden, um die Richtung zu ändern.“

Ergo: lesen Sie mehr – um selbst zu denken

Kirche ist kein Thema mehr für Hans-Joachim Maaz ?

Hans-Joachim Maaz, Psychater und Psychoanalytiker aus Halle/ Saale , lange Zeit Chefarzt des Diakoniekrankenhauses Halle und bekannt geworden durch seine DDR-Kritik, sieht in seinem neuesten Buch: „Die narzistische Gesellschaft. Ein Psychogramm„, Verlag C.H. Beck, München 2012 die gegenwärtige Politik und Gesellschaft  als  narzistischen Kompensationsprozess. Er fragt: „Was ist unsere Demokratie noch wert, wenn die Spekulanten der Finanzwirtschaft über die gesellschaftliche Entwicklung entscheiden? Wenn bloße spekulative Bewertungen an der Börse die reale und redliche Arbeit von Millionen Menschen rein virtuell vernichten können, sind wir gesellschaftlich auf dem Niveau eines Spielcasinos angekommen.  Und wer sind die Märkte, die die Politiker vor sich herjagen, weshalb ist die reale Macht an irrationale Prozesse abgegeben worden? Meine Antwort lautet: Wenn selbstwertgestörte Menschen in die Politik gehen, um ihr narzistisches Defizit durch Macht aufzuwerten, sind sie nicht ihrer selbst mächtig, sondern gejagt vom Erfolgszwang, der ihnen von außen diktiert wird. Und dort entfalten vor allem die versammelten Kräfte narzistisch begründeter Gier ihre Wirkungsmacht, um den Mangel an Selbstwert ein ‚goldenes‘ Kostüm zu schneidern.“

Die Rolle der Kirchen wird in dem Büchlein nicht erwähnt, wohl aber an verschiedenen Stellen Erfahrungen von Seelsorgern angesprochen, die in einem Atemzug mit Psychologen und Therapeuten genannt werden.