Archiv der Kategorie:
Globale Fragen und Aufgaben

Innenminister Friedrich schürt die Angst vor AsylbewerberInnen

Auf den ersten Blick sind die Schlagzeilen drastisch. In der ersten Hälfte dieses Jahres haben fast 90% mehr Personen Asyl in Deutschland beantragt. Die absolute zahl von 43.016 Anträgen klingt dann doch wieder wesentlich weniger bedrohlich.

Dennoch mahnt unser Innenminister: „Auch ein wirtschaftlich starkes Land wie die Bundesrepublik Deutschland wird dadurch vor erhebliche Herausforderungen gestellt.“ Da fragt man sich wie es die Krisenländer der EU, mit direkten Außengrenzen schaffen sollen.

 

Auf einmal begegnen wieder alle Argumente der das-Boot-ist-voll Debatte, mit der in den 90ern das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde. Zugleich wird wieder von massenhaften Asylmissbrauch spekuliert. Doch wie Pro Asyl zu Recht anmerkt kommen die meisten Flüchtlinge aus der russischen Föderation, Afghanistan und Syrien. Nicht Sozialmissbrauch sondern eine Außenpolitik, die sich mehr um die Interessen der Wirtschaft, als die Menschenrechte kümmert ist die Ursache, das immer mehr verfolgte Menschen keine andere Option als die Emigration sehen.

 

Eigentlich sollte man gelernt haben wohin die das-Boot-ist-voll Debatte geführt hat: Rechtsradikale Mobs, die versuchen nationalbefreite Zonen zu installieren und damit das Gewaltmonopol des Staats in Frage stellen. BürgerInnen, die es legitim empfinden diese rechten Mobs anzufeuern. In Berlin haben sich bereits die ersten Nazis wieder als Anwälte der Bevölkerung aufgespielt. Dieses mal haben sich die Bewohner erfolgreich gewehrt. Aber bitte erspart uns dieses mal das Wasser auf rechte Mühlen mit der das-Boot-ist-voll Debatte.

Prof. Klaus Leggewie: nachhaltige Entwicklungswege

Prof. Claus Leggewie, der Politik- und Kulturwissenschaftler an der Universität Essen, schlägt in einem jüngst erschienenen Buch zur »Zukunft im Süden« vier Punkte zur Verbesserung der Lage vor: erstens den Anschluss der südeuropäischen und nordafrikanischen Länder an ein smartes, auf erneuerbare Energien basierendes Energienetz. Auf diese Weise kann man Entwicklung im Süden – auch in Marokko, Tunesien oder Ägypten – generieren. Zweitens Meeresschutz: die Verbesserung der Wasserqualität und eine regionale Meeres-Governance stellen dort wichtige Aufgaben dar. Drittens ist eine bessere Agrarpolitik und auch eine bessere Industriepolitik nötig, die die Abhängigkeit des Südens vom Norden verringert, fairen Handel und eine selbsttragende Entwicklung erlaubt. Viertens ist eine sanfte Form des Tourismus wichtig, die vom derzeitigen Ballermann-Tourismus wegführt.

Prof. Claus Leggewie in seinem neuen Buch „Zukunft im Süden“ über die Idee einer großen gesellschaftlichen Transformation und die Chancen, die der Klimawandel bietet… Lesen das Interview in Publik Forum.

Wandel oder Transformation? – Liebesgrüße aus Gütersloh

„Liebesgrüße aus Gütersloh “ von Prof. Matthias Burchardt, Universität Ludwigsburg.

„Spätestens seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts können auffällige Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft beobachtet werden: Politik, Kultur, Medien, Gesundheitswesen, Sozialsysteme, Landwirtschaft, Wirtschaft, Strafvollzug, Polizei, Kirchen, Familien und natürlich das Bildungswesen zeigen in Strukturen, Prozessen, Sprachspielen, Deutungen und Bewertungen ein gänzlich anderes Gesicht. Der vollzogene Wandel wurde in der politischen Rhetorik durch Begriffe wie Reform oder „Modernisierung“ ausgewiesen. Als Legitimation wurde – postlyotard – die große Erzählung der „Globalisierung“ bemüht, Vokabeln wie „Zukunftsfähigkeit“ erzeugten Anpassungsdruck und Thatcher’s TINA-Doktrin (There is no alternative!) gewann unausgesprochen Allgemeingültigkeit. Wie wenig diese Modernisierungsprozesse tatsächlich zur Ermöglichung von Zukunft beigetragen haben, zeigt sich an den diversen Krisen, die einerseits Folge der genannten Maßnahmen sind und gleichzeitig als Argumente für weitere „alternativlose“ Reformen herangezogen werden: ökologische Krise, Klimakrise, Überschuldungskrise, Energiekrise, Wasserkrise, Krise der Sozialsystem, Bildungskrise, Finanzkrise, Euro-Krise, Demokratiekrise, Kulturinfarkt usf.“

Hinter all diesen Prozessen steckt nicht allein die Bertelsmann-Stiftung. Aber ihr Einfluss darauf ist enorm. Welche Mittel, Methoden, Instrumente und – Personen mitwirken, beschreibt Prof. Burchardt in seinem Artikel „Liebesgrüße aus Gütersloh“ auf sehr anschauliche, bisweilen unterhaltsame Weise. Zur Lektüre wärmstens empfohlen!

Matthias Burchardt „Liebesgrüße aus Gütersloh“. Der Artikel ist erschienen in: In: Demokratie setzt aus. Gegen die sanfte Liquidation einer politischen Lebensform. Hrsg. von Ursula Frost und Markus Rieger-Ladich. Sonderheft der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik. Paderborn 2012. S. 65-77.

Griechenland’rettung‘ – eine gigantische Umverteilung von unten nach oben

Wenn öffentliche Gelder ausgegeben werden, dann sollte das transparent geschehen und vom Parlament beschlossen werden. Die angebliche Rettung Griechenlands ist jedoch das Gegenteil. Die EU Kommission dokumentiert zwar ihren Einsatz auf hunderten Seiten. Doch wer direkt von den Milliarden profitiert, ist nicht ersichtlich.

Attac Österreich hat nun jedoch Zahlen recherchiert. Mindestens 77% der Rettungspakete flossen direkt in den Finanzsektor. Profitiert hat die griechische Milliardärsfamilie Latsis, deren Bank gerettet wurde. Aber auch der Hedgefond Thrid Point machte beim Schuldenrückkauf im Dezember 2012 fünfhundert Millionen Euro Profit.

Aus den Zahlen wird klar ersichtlich. Die Rettungspakte sollen vor allem den Finanzsektor und diejenigen, die daran verdienen schützen.

Lesen Sie im Attac Bericht alle Zahlen und weitere Fakten zu einem der Größten Umverteilungsprojekten zu Gunsten der Reichen.

TTIP: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft sägt an -Standards

In Luxemburg hat der Rat der Europäischen Union der -Kommission das Mandat für das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen zwischen der und den (TTIP) erteilt. Vermutlich werden am Rande des in Irland tagenden G8-Gipfels die Verhandlungen offiziell starten. Weniger Schranken für den Handel bedeuten gleichzeitig weniger Schutz für Umwelt und Verbraucher. Davon profitieren werden vor allem Konzerne und Unternehmen. Lesen den Beitrag von greenpeace.

Der lange Weg von Keynes zu Hayek – und wieder zurück?

John Maynard Keynes (1883-1946) und Friedrich August von Hayek (1899-1992) sind die prägenden Persönlichkeiten der Nationalökonomie des 20. Jahrhunderts. Beide stehen für eine bestimmte Theorie der politischen Ökonomie, wobei der eine, Keynes, für die staatsinterventionistische, der andere, Hayek, für die marktradikale Variante steht. Eine Ironie der Geschichte scheint es zu sein, dass der Engländer Keynes seine größte Wirkung im demokratischen Sozialstaatskapitalismus vieler kontinentaleuropäischer Staaten in den 1960er und 1970er Jahren hatte, während der Österreicher Hayek die ideologischen Grundlagen lieferte für die von den USA ausgehende, in Europa zuerst in Großbritannien während der Regierungszeit Margaret Thatchers fußfassende, nach dortigem Vorbild auch in den Kernländer Kontinentaleuropas übernommene neoliberale Transformation des Sozialstaates zunächst zum Steuer- und schließlich zum Schuldenstaat. Dabei wäre es aber eine Verkürzung der tatsächlichen Verhältnisse zu behaupten, der eine, Keynes, habe seine Wirkung bereits gehabt und dürfe als abgeschlossenes Kapitel des 20. Jahrhunderts nun in Frieden ruhen, während der andere, Hayek, erst nach seinem Tod dabei sei, seine Wirkung richtig zu entfalten, um die zukünftige Gestalt der europäischen Gesellschaften zu prägen. Tatsächlich steht nämlich immer dann, wenn Hayek als besonders mächtig oder gar „alternativlos“ erscheint, im Hintergrund Keynes bereit, um im Namen der Opfer der Hayek’schen Radikalkur das Steuer zu übernehmen, damit die Gesellschaft nicht in eine gefährliche Schieflage gerät, die ihren demokratischen Grundkonsens gefährdet. Man könnte auch sagen: Keynes steht für den Anspruch der Politik, die durch neoliberale „Reformen“ ausgelösten krisenhaften Entwicklungen der Gesellschaft durch staatliches Handeln zu korrigieren; allerdings ist die gegenwärtige Politik in Deutschland und, aufgrund der wirtschaftlichen Dominanz Deutschlands, in der gesamten EU weit davon entfernt, im Sinne der Keynes’schen Theorie korrigierend einzugreifen. Dieses Dilemma sollte eigentlich die Vorlage liefern für sozialwissenschaftliche Dramaturgien allerersten Ranges.

Allerdings stellten sich dem neoliberalen Umbau der europäischen Gesellschaften etwa zwei Jahrzehnte lang keine nennenswerten Hindernisse in den Weg. SPD und Grüne, von ihrer geschichtlichen Entwicklung her scheinbar natürliche Gegner, zeigen sich in ihrer Regierungszeit sogar als treibende Kräfte dieser Entwicklung, und nicht einmal die Linkspartei schaffte es, ihren wirkungslosen Protest gegen die „Agenda 2010“ der Schröder/Fischer-Regierung mit einer einigermaßen realistischen Analyse der Entmachtung der Politik durch sogenannte „Marktkräfte“ als nicht nur ressentimentgesteuert, sondern als in der Sache begründet erscheinen zu lassen.

Obwohl in der Politik nach wie vor keine Anzeichen für eine Korrektur des neoliberalen Weges erkennbar sind, scheint sich endlich unter Intellektuellen eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen und den Begründungsstrategien für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft anzubahnen. Frank Schirrmachers Schrift „Ego“, in der er einen eigenwilligen (verschwörungs-)theoretischen Zugang über die sog. „Spieltheorie“ liefert, deckt dabei eher die Unterhaltungssparte ab. Das Potential zum Auslösen einer breiten Debatte hat dagegen das bei Suhrkamp erschienene Buch von Wolfgang Streeck „Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“, das aus drei Adorno-Vorlesungen an der Universität Frankfurt hervorgegangen ist.

Der 1946 geborene Streeck ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und erlebte in den späten 1960er Jahren als Soziologiestudent in Frankfurt noch Adorno persönlich – allerdings habe er, wie er freimütig zugibt, damals „nicht viel verstanden“. Seine eigene Herkunft aus dem Umfeld der „Frankfurter Schule“ bietet ihm vordergründig den Anlass, die gegenwärtige Krise des Kapitalismus, die sich seit 2008 als Finanzkrise darstellt, produktiv auf die Krisentheorien der Generation der sog. „Achtundsechziger“ zu beziehen und, ausgehend von den sich darstellenden Differenzen, nach den einzelnen Etappen der krisenhaften Entwicklungen zu fragen.

Beim Blick auf die Krisentheoretiker der „langen 1960er Jahre“ – die er bis etwa 1975 andauern lässt –, zeigt sich, dass diese zwar „die Spannungen und Brüche in der politischen Ökonomie der Zeit neu zu bestimmen“ versuchten, die Richtung jedoch, „in die diese sich dann aber entwickelten und zunächst aufzulösen bzw. zu schließen schienen“, nicht erkennen konnten. Dabei, so Streeck, scheint eines ihrer Probleme gewesen zu sein, „dass sie die Selbstbeschreibung der kapitalistischen Wirtschaft der ‚Goldenen Jahre’: als technokratischer Steuerungsbund von Regierungen und Großunternehmen, aufgebaut und geeignet zur Gewährleistung von stabilem Wachstum und zur endgültigen Überwindung der wirtschaftlichen Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, im Wesentlichen übernahmen“. Zweifelhaft schien diesen Theoretikern – Streeck nennt exemplarisch Jürgen Habermas und Claus Offe – nicht die „politische Steuerbarkeit des modernisierten Kapitalismus, sondern seine gesellschaftliche und kulturelle Legitimierbarkeit“; in ihrer klarsten Form findet sich diese Theorie in der 1973 veröffentlichten Habilitationsschrift von Jürgen Habermas mit dem Titel „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“.

Streeck erkennt als zentrales Problem der damaligen Legitimationstheorie, dass sie „das Kapital als politischen Akteur und strategiefähige gesellschaftliche Macht unter- und die Handlungs- und Planungsfähigkeit staatlicher Politik überschätzte“. Deshalb habe sie Wirtschaftstheorie durch Staats- und Demokratietheorie ersetzt und aus diesem Grund „auf ein Kernstück des Erbes der Marxschen politischen Ökonomie“ verzichtet – zu ihrem eigenen Nachteil.

Auf drei Entwicklungen, so Streeck, sei die Krisentheorie um 1968 nicht vorbereitet gewesen: Auf die Um- und Zurückschaltung des modernen Kapitalismus auf selbstregulierte Märkte, auf die ab den 1970er Jahren in Gang gekommene rapide Ausbreitung und hohe kulturelle Akzeptanz marktangepasster und marktgetriebener Lebensformen sowie auf die Inflationspolitik der 1970er und die Politik der Staatsverschuldung in den 1980er Jahren. Diese Entwicklungen führten zu einer schrittweisen Auflösung der nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Kapitalismus und Demokratie arrangierten „Zwangsheirat“, mit der Folge, dass, indem „die Legitimationsprobleme des demokratischen Kapitalismus gegenüber dem Kapital zu Akkumulationsproblemen“ wurden, diese als Bedingung ihrer Lösung „nach einer immer weiter gehenden Befreiung der kapitalistischen Ökonomie von demokratischer Intervention“ verlangten. Damit, so Streeck, habe sich der Ort der Sicherung einer Massenbasis für den modernen Kapitalismus von der Politik zum Markt verlagert – mit der Folge einer fortschreitenden „Immunisierung der Wirtschaft gegenüber der Demokratie als Massendemokratie“. Streeck bezeichnet diese Entwicklung als „Transformation des keynesianischen politisch-ökonomischen Institutionensystems der Gründungsphase des Nachkriegskapitalismus in ein neohayekianisches Wirtschaftsregime“.

Diese Analyse führt Streeck zu der These, „dass wir anders als in den 1970er Jahren jetzt womöglich tatsächlich in der Spätzeit der politisch-ökonomischen Formation der Nachkriegsperiode leben“; aber es sei eben nicht, wie von den damaligen Krisentheoretikern postuliert, die Spätzeit des Kapitalismus, sondern die Spätzeit der Demokratie – insofern, „als die Demokratie, wie wir sie kennen, auf dem Weg ist, als redistributive Massendemokratie sterilisiert und auf eine Kombination von Rechtsstaat und öffentlicher Unterhaltung reduziert zu werden“.

Genau genommen macht Streeck in seinen Ausführungen nichts anderes, als diesen Prozess „der Entdemokratisierung des Kapitalismus vermittels Entökonomisierung der Demokratie“, den er seit der Krise von 2008 weit vorangekommen sieht, in seiner vier Jahrzehnte andauernden Vorgeschichte zu beschreiben und auf seine gegenwarts- und vor allem zukunftsrelevanten Folgen hin zu untersuchen. Und diese Folgen sind gravierend: Im Kern geht es um die an verschiedenen Stellen zu beobachtende Tendenz, den demokratisch agierenden Institutionen die Kompetenz für ökonomische Entscheidungen systematisch zu entziehen. Streeck betrachtet den Neoliberalismus als mit dem demokratischen Staat unvereinbar, „sofern unter Demokratie ein Regime verstanden wird, das im Namen seiner Bürger mit öffentlicher Gewalt in die sich aus dem Marktgeschehen ergebende Verteilung wirtschaftlicher Güter eingreift“.

Das Ziel des Neoliberalismus besteht demnach in einer Immunisierung des Marktes gegen demokratische Korrekturen. Wie aber kann eine solche Immunisierung praktisch erfolgen? Streeck nennt zwei mögliche Strategien: entweder „durch neoliberale Umerziehung der Bürger oder durch Abschaffung der Demokratie nach dem chilenischen Vorbild der 1970er Jahre“, als die neoliberalen Hayekschüler um Milton Friedman vom Pinochet-Regime Chile als wirtschaftspolitisches Experimentierfeld überlassen bekamen. Angesichts dieser Alternativen erkennt Streeck, dass das eine „in Form öffentlicher Dauerindoktrination durch die standardökonomische Theorie laufend versucht“ werde, und das andere „zur Zeit nicht zur Verfügung“ stehe. Deshalb müssten die „Auflösung der Spannung zwischen Kapitalismus und Demokratie sowie die Etablierung eines dauerhaften Primats des Marktes über die Politik […] in erster Linie durch inkrementelle ‚Reformen‘ der politisch-ökonomischen Institutionen betrieben werden: durch den Übergang zu einer regelgebundenen Wirtschaftspolitik, zu unabhängigen Zentralbanken und einer gegen Wahlergebnisse immunisierten Fiskalpolitik; durch Verlagerung von wirtschaftspolitischen Entscheidungen in Regulierungsbehörden und Gremien sogenannter ‚Experten‘; sowie durch verfassungsmäßig installierte Schuldenbremsen, mit denen Staaten sich und ihre Politik über Jahrzehnte, wenn nicht für immer, rechtlich binden sollen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Staaten so umgebaut werden, „dass sie das Vertrauen der Kapitaleigner und Kapitalbeweger dauerhaft verdienen, indem sie durch in ihnen institutionell fest verdrahtete Politikprogramme glaubhaft garantieren, dass sie nicht in ‚die Wirtschaft‘ intervenieren werden – oder wenn doch, dann nur zur Durchsetzung und Verteidigung von Marktgerechtigkeit in Gestalt einer angemessenen Rendite auf Kapitalinvestitionen“. Als Voraussetzung dafür müsse die Demokratie, „verstanden im Sinne der sozialen Demokratie des demokratischen Kapitalismus der Nachkriegszeit, neutralisiert und die Liberalisierung als hayekianische Liberalisierung, das heißt als Immunisierung des Kapitalismus gegen massendemokratische Interventionen, betrieben und vollendet werden“.

Diese realistische, an den tatsächlichen Vorgängen orientierte Analyse kontrastiert Streeck mit einer, wie er es nennt, „standardökonomischen Theorie“, der zufolge die Krise der Staatsfinanzen „Ergebnis ungeklärter Eigentums- und damit Verantwortungsverhältnisse“ sei. Diese wiederum, so die Annahme dieser Theorie, seien einem „Versagen der Demokratie zuzurechnen, genauer: der Erstreckung demokratischer Beschlussrechte auf Probleme, auf die sie nicht passen“. Deshalb, so weiter, erfordere die Behebung der Fiskalkrise „eine Abschirmung der öffentlichen Finanzen gegen demokratisch generierte Forderungen und letztlich eine Verkleinerung der durch Besteuerung eingerichteten gesellschaftlichen Allmende“.

„Allmende“ erscheint bei Streeck als Schlüsselbegriff der standardökonischen Theorie, der zufolge die Krise der Staatsfinanzen durch das Versagen der Demokratie entsteht. Dazu wird auf eine alte Denkfigur aus dem 19. Jahrhundert zurückgegriffen: Im Mittelalter gab es die Allmende, ein jedem Bewohner zugängliches und von jedem genutztes Gemeindeland. Diese Allmende wurde überbeansprucht, indem jeder sich des Landes bediente, aber niemand sich für die Pflege verantwortlich sah. Diese Theorie, so Streeck, wurde erfunden „zur Verteidigung der in der Regel gewaltsamen Privatisierung von mittelalterlichem Gemeineigentum im Zuge des Übergangs zum modernen Kapitalismus, von Marx als ‚ursprüngliche Akkumulation‘ beschrieben“. Diese Legende vom Verschwinden der Allmende wird nun auf die öffentlichen Finanzen übertragen, woraus die Sicht entsteht, dass rational handelnde Akteure sich dieser Finanzen bedienen ohne dafür Sorge zu tragen, dass sie sich immer wieder regenerieren können. Diese rational handelnden Akteure sind in den Augen der Ökonomen Politiker, die den Pool der öffentlichen Finanzen benutzen, um ihren Wählern Wohltaten zukommen zu lassen, die zwar ihnen selbst bei der Wiederwahl behilflich sein sollen, aber den common pool langsam austrocknen. Um Geld für weitere Wohltaten für die Wähler zur Verfügung zu haben, muss der common pool, also der Staatsetat, mit geborgtem Geld aufgefüllt werden, was zu einer Schuldenanhäufung führt. Schuldenmachen ist demnach in der standardökonomischen Theorie das logische Ergebnis rational – also egoistisch – handelnder Akteure: sowohl der um ihre Wiederwahl besorgten Politiker als auch der nach ihrem größtmöglichen Vorteil ausschauenden Wähler.

Dieser standardökonomische Blick auf die Ursachen der Fiskalkrise basiert jedoch auf einer Umkehrung der Kausalitäten, denn „verfolgt man die Entwicklung der Fiskalkrise von der Gegenwart aus zurück, so hat der dramatischste Verschuldungssprung seit dem Zweiten Weltkrieg, der von 2008 und danach, offenkundig überhaupt nichts mit einer demokratisch ermächtigten Anspruchsinflation bei den Wahlbürgern zu tun. Wenn gestiegene Ansprüche im Spiel waren, dann kamen sie von den in Schieflage geratenen Großbanken […].“ Diesen sei es gelungen, sich als „systemrelevant“ und deshalb politisch rettungswürdig darzustellen. Ausgenutzt hätten sie dabei „die Angst der Bürger und Regierungen vor einem Absturz der Realwirtschaft, die einem kostspieligen Rettungskeynesianismus den Weg bereitete, bei dem es statt um frivole Selbstbereicherung von Wählermassen aus herrenlosem Eigentum um die Verhinderung kollektiver Verarmung ging“.

Wolfgang Streecks grandiose Analyse der krisenhaften Entwicklung des demokratischen Kapitalismus zu einem immer weiteren Auseinanderdriften zwischen Kapitalismus und Demokratie endet mit einem eher resignativen Grundton: Er regt einen Rückbau der europäischen Währungsunion an, um die „Abwertung als Institution in einem internationalen Wirtschaftssystem“ als Möglichkeit für ökonomisch schwächere Staaten zurückzugewinnen. Die Währungsunion sieht er als politischen Fehler, „weil sie trotz der enormen Heterogenität der Länder der Eurozone die Abwertung eliminiert hat, ohne zugleich mit ihr auch die Nationalstaaten und die Demokratie auf nationaler Ebene abzuschaffen. Anstatt den Fehler durch eine Flucht nach vorn zu vergrößern und die Währungsunion durch eine ‚politische Union‘ zu vervollständigen, die nichts anderes sein könnte als die endgültige Inthronisation des Konsolidierungsstaates, kann man versuchen, solange die Krise den Ausgang noch offen hält, ihn durch Rückkehr zu einem geordneten System flexibler Wechselkurse in Europa ungeschehen zu machen.“

In der Debatte um Streecks Buch hat sich jüngst auch Jürgen Habermas zu Wort gemeldet. In einer kritischen Besprechung in der Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ stimmt er Streecks Analyse des Krisenverlaufs zwar weitgehend zu, zieht daraus aber andere Schlussfolgerungen: Statt einer Aufkündigung der Währungsunion plädiert er für eine Reform der EU-Institutionen hin zu einer „supranationalen Demokratie“. Vor allem das Parlament möchte er gegen die Kommission stark machen, denn nur „in dem nach Fraktionen gegliederten Europäischen Parlament kann eine nationale Grenzen durchkreuzende Interessenverallgemeinerung stattfinden. Nur in parlamentarischen Verfahren kann sich eine europaweit generalisierte Wir-Perspektive der EU-Bürger zur institutionalisierten Macht verfestigen.“

Allerdings ist zu fragen, ob Habermas an dieser Stelle nicht einer zu optimistischen Sicht verfällt. Tatsächlich fördern die gegenwärtigen Strukturen der EU eher den Abbau der Demokratie und werden von ihren Befürwortern gerade deshalb als „alternativlos“ dargestellt. In Wolfgang Streecks Argumentationslogik ließe sich sogar behaupten, dass die Struktur der EU selbst bereits Ergebnis des neoliberalen Umbaus der europäischen Gesellschaften ist. Die wesentlichen Verträge wie der Mastricht- und der Lissabon-Vertrag wurden schließlich in derjenigen Phase des europäischen Projekts geschlossen, als die Weichen für eine Wirtschaftsunion gestellt waren, die notfalls auch ohne politische Union realisiert werden sollte. Habermas selbst schätzt die von ihm erhoffte politische Union, die einzig ein Auseinanderdriften von Demokratie und Kapitalismus verhindern könnte, als schwer realisierbar ein, gibt ihr aber dennoch eine realistische Perspektive. In der Bundesrepublik bestärke zwar „eine unsäglich merkelfromme Medienlandschaft alle Beteiligten darin, das heiße Eisen der Europapolitik im Wahlkampf nicht anzufassen und Merkels clever-böses Spiel der Dethematisierung mitzuspielen“. Daher, so Habermas, sei „der ‚Alternative für Deutschland‘ Erfolg zu wünschen“. Er hoffe, „dass es ihr gelingt, die anderen Parteien zu nötigen, ihre europapolitischen Tarnkappen abzustreifen.“

Sollte dies nicht geschehen, drohen in einigen Ländern Südeuropas autoritäre Wirtschaftsregime nach dem Muster Griechenlands und der Monti-Regierung in Italien und in Deutschland degeneriert die Demokratie zu einer „Kombination von Rechtsstaat und öffentlicher Unterhaltung“, wie es Wolfgang Streeck in seinem Buch mit aller wünschenswerten Klarheit analysiert.

Martin Schuck

Handelsabkommen TAFTA / TTiP – Gefahr für die europäische Kultur

EU-Parlament votiert für Ausklammerung des Kulturbereichs

In seiner heutigen Sitzung hat das Europäische Parlament grundsätzlich für den Beginn der Gespräche zum Abschluss des Freihandelsabkommens TAFTA zwischen der EU und den USA ausgesprochen…In einer getrennten Abstimmung (381 Stimmen dafür, 191 Gegenstimmen, 17 Enthaltungen) beschlossen die Abgeordneten zudem, „die Ausklammerung von Diensten mit kulturellen oder audiovisuellen Inhalten, auch online, im Verhandlungsmandat eindeutig festzuhalten, um die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der EU nicht zu gefährden.“

Zudem zogen die Abgeordneten laut der Mitteilung mehrere „rote Linien“ hinsichtlich europäischer Werte und Standards, die man in den Gesprächen unbedingt verteidigt sehen wolle. Dazu zählt nicht zuletzt das geistige Eigentum als „Eckpfeiler von Europas wissensbasierter Wirtschaft.“

http://www.wegezumfilmgeld.de

SPD will Eigenständigkeit des Kultur- und Mediensektors bei Verhandlungen zu transatlantischem Handelsabkommen stärken

Berlin: (hib/AS) Die SPD begrüßt die Einrichtung eines Handelsabkommens zwischen den USA, der EU und den europäischen Mitgliedstaaten. Audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen sollen dabei jedoch ausgenommen werden. In einem Antrag (17/13732) begründen die Abgeordneten dies damit, dass diese Dienstleistungen nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Kulturgüter seien, die die Identität eines jeden einzelnen Mitgliedstaates widerspiegeln würden. Die Sozialdemokraten kritisieren, dass sich der bisherige Mandatsentwurf allein auf die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) stütze. Dabei würde nicht berücksichtigt werden, dass mit der Unterzeichnung des UNESCO-Abkommens über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen bereits entsprechende Verpflichtungen eingegangen worden seien. Es bestünde daher die Gefahr, dass Verpflichtungen aus beiden Verträgen miteinander kollidieren würden und dass der europäische Konsens, Kulturgüter nicht allein der Macht des Marktes zu überlassen, nicht ausreichend berücksichtigt werden würde. Lesen Sie aus dem Bundestag.

Europäischer Alternativ-Gipfel in Athen

Die Lage in Europa wird immer beunruhigender. Große Teile unseres Kontinents rutschen zurück in die Rezession, ohne dass die Folgen der Krise von 2008 auch nur im Ansatz überwunden wären. In den von der Krise am stärksten betroffenen Ländern nehmen Arbeitslosigkeit und soziale Verelendung bislang ungekannte Ausmaße an. Menschen verzweifeln und verlieren das Vertrauen in die Demokratie… zum Artikel.

Grundlegende europäische Werte und das Internet

acatech schließt interdisziplinäres Internet Privacy Projekt mit konkreten Handlungsempfehlungen ab.

acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften setzt sich für die Entwicklung einer Kultur der Privatheit im Internet ein. Die Akademie empfiehlt in ihrer neu veröffentlichten POSITION „Privatheit im Internet“ das Zusammenspiel von Bildung, Recht, Wirtschaft und Technik so zu gestalten, dass sich die grundlegenden europäischen Werte – freie Selbstbestimmung, politische Teilhabe und wirtschaftliches Wohlergehen der Bürger – optimal entwickeln können. Dazu legte acatech am 15. Mai 2013 in Berlin zahlreiche Empfehlungen vor und präsentierte den Software-Prototypen eines Privatheits-Agenten, der die Bürger beim Schutz ihrer Privatsphäre wirkungsvoll unterstützen kann. Lesen Sie den Artikel.

Vertrauen im Internet – Wie kann das Internet auch wieder vergessen? Sehen Sie den Video-Vortrag von Prof. Buchmann des BR

in der Bayerischen Akademie der Wissenschaft

„Das Netz vergisst nichts!“ mahnen aufgeklärte Internetnutzer. Denn die Informationen, die wir im Netz hinterlassen, bleiben dort und können sich mit atemberaubender Geschwindigkeit verbreiten, oft zum Nachteil der Nutzer. Mit welchen Methoden kann das Internet dazu gebracht werden zu vergessen – und wer kann das tun?

Das Internet vergisst nicht

Immer wenn du Daten, Bilder oder Videos von dir oder deinen Freunden ins Netz stellst, solltest du daran denken, dass das Internet nicht vergisst: Denn auch wenn du deine Beiträge längst gelöscht hast, sind sie im Netz noch dauerhaft verfügbar. Lesen Sie den Artikel.

 

Demokratie, Solidarität und die europäische Krise

Am 26. April hielt Professor Jürgen Habermas an der Universität Löwen einen richtungweisenden Vortrag zur Lage und Perspektive der Europäischen Union. Für seine Vision einer politischen Einigung auf der Basis von Solidarität erhielt er stehende Ovationen.

Hier die Zusammenfassung durch unseren Autor Alexander John:

In Europa, so Habermas ist eine Kluft zwischen Politik und Bürgern entstanden. Während die Bürger mehrheitlich europaskeptisch eingestellt sind, versuchen pragmatische Politiker eine Ausweitung der europäischen Strukturen um den Euro nicht aufgeben zu müssen.

Die Annahme, das sich innerhalb der Eurozone die Wettbewerbsbedingungen von alleine anpassen würden , hat sich als falsch heraus gestellt. Das strukturelle Problem lässt sich nach Habermas nur lösen, wenn die Wirtschaftspolitik nicht mehr exklusiv von nationalen Interessen bestimmt wird. Hierzu „müsste sich die Währungsunion in eine echte politische Union erweitern“.

Die Schritte zu dieser politischen Union wären jedoch bei der Bevölkerung unpopulär. Die Blaupausen der Europäischen Kommission, versuchen daher durch einen technokratischen Weg über die Bedenken der Bürger hinweg Europa auszuweiten. Habermas warnt vor diesem Weg: „Eine Technokratie ohne demokratische Wurzeln hat keine ausreichende Motivation die Bedürfnisse der Wähler an einer gerechten Verteilung von Einkommen und Besitz, Sicherheit des Standes, öffentliche Dienste und Gemeingüter, ausreichend zu berücksichtigen, wenn diese mit dem Bedürfnis des Systems an Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum kollidieren.“

Eine politische Union jenseits der Technokratie muss auf der Basis einer gemeinsamen Entscheidungsfindung statt auf zwischenstaatlichen Verträgen basieren. Dies müsste den Europäischen Rat abschwächen und das Parlament stärken. Denn, „Wie es die Staatsbürger sehen, wird ihr politisches Schicksal von fremden Regierungen bestimmt, die Interessen anderer Nationen vertreten, statt durch eine Regierung, die durch ihre eigene Stimme legitimiert ist.

Dieser Schritt macht es nötig, die Grundverträge zu ändern. Ausgerechnet der Europäische Rat müsste eine europäische Versammlung zur Überarbeitung der Verträge einberufen. Doch die Regierungschefs haben kein Interesse ihre Wiederwahl zu gefährden oder ihre Macht zu beschneiden. Dennoch können sie die notwendige europäische Integration nicht endlos aufschieben.

In dieser Situation hat die deutsche Regierung die Schlüssel zur Zukunft der Europäischen Union in ihrer Hand.“ Nur sie kann die Initiative zu einer Revision der Verträge ergreifen. Dies liegt auch im Interesse Deutschlands nicht wieder in die Situation einer semi-hegemonialen Macht in Europa zu gelangen. Bereits 1871 führte diese Position zu tragischen Konflikten in Europa. Deutschland könne außerhalb der EU nicht ein Land unter vielen sein. Wäre jedoch nicht in der Lage den Rest Europas zu dominieren.

Der Schlüssel zur Integration ist Solidarität. Solidarität versteht Habermas als politischen Akt. Er lässt sich nicht einklagen und verfolgt eigene Langzeitinteressen auf der Basis von Gegenseitigkeit. Als politisches Konzept reagierte Solidarität auf den erodierten Zusammenhalt von Gesellschaften. Damit weist Solidarität auf Lücken im politischem System hin und hilft sie zu überwinden. Wichtige Errungenschaften der Neuzeit, wie die Französische Revolution (Brüderlichkeit), die Arbeiterbewegung und die modernen Sozialstaaten haben ihren Ursprung in Akten der Solidarität.

Nach Habermas lässt sich die Währungsunion nicht alleine durch Kredite für überschuldete Staaten aufrecht erhalten. „Erforderlich ist hingegen Solidarität, eine gemeinsame Anstrengung aus einer gemeinsamen Überzeugung um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone als ganzes zu fördern.“

Eine solche Anstrengung würde es erfordern, das Deutschland und einige andere Länder kurz und Mittelfristig durch Umverteilung belastet sind. Das geschieht in ihrem eigenem Langzeitinteresse: Ein klassisches Beispiel von Solidarität.“, schloss Professor Habermas seinen Vortrag.

Lesen Sie hier den Vortrag im englischem Original und die Berichterstattung bei der Deutschen Welle.