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Reformbegründungen und die Wirklichkeit

»Alles ist relativ, außer Gott und der Hunger«. Von Michael Rammminger.

Dieses Manuskript entspricht im Wesentlichen dem Vortrag, den Dr. Michael Ramminger auf der 35. Bundesversammlung der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche am 25. Oktober 2014 in Essen gehalten hat.

…Wir werden also darüber nachdenken müssen, ob und warum wir dieser und diesen Nachfolgegemeinschaften des Namen Gottes noch anhängen, was wir von ihnen noch erwarten und natürlich, was wir dazu tun. Wenn wir allerdings der Meinung sind, dass diese Kirche im Blick auf das kommende Reich Gottes noch einen Sinn hat, dann müssen wir uns in das Gefecht und die Auseinandersetzungen, die ideologischen und politischen hineinbegeben, und das heist aktuell: eine Position zum gegenwärtigen Papst entwickeln, seinen Ansichten, den Möglichkeiten, die er eröffnet, die, wie wir sehen werden, sehr nah an Dom Pedro ist. Fast fünfzig Jahre ist es jetzt her, dass es so schien, als würde sich die katholische Kirche aus seiner knapp zweitausendjährigen Verstrickung in die Geschichte der Macht und der Unterdrückung lösen können. Das zweite vatikanische Konzil war bei aller Begrenztheit für viele KatholikInnen ein Zeichen des Aufbruchs, sowohl nach Innen und nach Außen. Ihm folgen global gesehen, die Theologie der Befreiung und für uns die Würzburger Synode. In ihr ging es nicht nur um die Beteiligung der Laien an der Verkündigung (153) und um Ehe und Familie (411). Das Abschlusspapier „Unsere Hoffnung“ sagt auch:„Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen“ (97). Das war für viele hier eine Zeit des Aufbruchs- und für andere, wie mich, die Grundlage kirchlicher Sozialisation. Aber der Aufbruch währte nicht lange: schon 1978 wurde Johannes Paul II zum Papst gewählt, 1981 Ratzinger um Präfekten der Glaubenskongregation. …

Konservative Bischofsernennungen, die Stärkung des opus dei und die gezielten Einflussnahmen auf die Klerikerausbildung haben uns einen Roll-back beschert, dem diejenigen, die sich am II.Vatikanum oder an der Würzburger Synode orientierten, nicht viel entgegenzusetzen hatten. All das wurde unter dem Vorwand des Abwehrkampfes gegen „Relativismus“ und Glaubensschwäche in Gang gesetzt. (Vgl.Eigenmann/ Ratzingers Jesusbuch). Und als deutlich wurde, dass auch diese Strategie den Bedeutungs- und Mitgliederverlust der katholischen Kirche nicht aufhalten konnte, ging man zu einer neuen Doppelstrategie über: Einerseits Aufrechterhaltung des überkommenen klerikalen Kirchenmodells und andererseits eine sogenannte Modernisierung der kirchlichen Strukturen über Gemeindezusammenlegung und neue Seelsorgekonzepte, die pastoralen Räume. Diese Vorstellung war nichts anderes als der irrwitzige Versuch, den zunehmenden Priestermangel noch einmal durch Vergrößerung der Territorialgemeinden bei gleichzeitiger Besinnung auf das „Kerngeschäft“ (Sakramentenpastoral) zu kompensieren.
Das alles führte dazu, dass sich viele Katholiken noch stärker aus der kirchlichen Arbeit zurückzogen und andererseits klerikale Allmachtsphantasien zunahmen, die sich in sexuellen Ausschweifungen in Priesterseminaren oder feudalen Bischofsselbstverständnissen wie in Limburg oder Regensburg ausdrückten. …

Die Offenbarung Gottes in Jesus als Selbstmitteilung Gottes reduziert sich bei ihm (Benedikt XVI) auf den Glauben, dass es Gott gäbe, und dass er die Fäden in der Hand halte. Die ganze biblische Reich-Gottes-Botschaft vom Ende von Hunger und Gefangenschaft, von Krieg und Sklaverei, von Gerechtigkeit verschwindet. Dagegen müssen wir aber daran festhalten, dass sich in Jesus nicht irgendein Gott offenbart, sondern eben der biblische Gott des ersten und zweiten Testamentes. Der Relativismus von Ratzinger ist darüber hinaus nicht nur eine Entleerung des biblischen Gottesglaubens, sondern es ist geradezu eine Umkehrung. Denn Ratzinger sieht die Gefahr, dass die Reich-Gottes-Botschaft, wo sie sich auf die reale Ungerechtigkeit, den realen Hunger bezieht, in „eine nachchristliche Vision von Glaube und Politik“ transformiert, die sich „als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt“ erweist.“ Die ganze katastrophale Kirchenpolitik Ratzingers als Präfekt der Glaubenskongregation und sein tragisches Pontifikat erklären sich von hier aus: Die biblische Entleerung des Gottesglaubens erklärt seinen fanatischen Kampf gegen die Theologie der Befreiung und damit gegen die Armen….„Nicht mehr die Bibel ist die „Norma normans non normata, [die] normierende, nicht normierte Norm“, sondern das kirchliche Lehramt wird zur „Norma normans non normata, [zur] normierenden, nicht normierten Norm“…

Wie auch immer: Die letzten dreißig Jahre waren für notwendige Kirchenstrukturreformen als auch gesellschaftspolitische Positionierungen der Kirche verlorene Zeit…. Der vollständige Text des Vortrags.

Pfarrer-Initiative der Diözese Würzburg: Wir sagen NEIN

Zusammenschluss reformorientierter Priester und Diakone

„WOFÜR WIR STEHEN
In unserer Diözese Würzburg entstehen immer größere pastorale Räume als Antwort auf den sogenannten Priestermangel und die gesellschaftlichen Veränderungen. Wir setzen uns dafür ein, über andere Formen von kirchlichen Strukturen nachzudenken. Die einzelne
Kirchengemeinde ist für uns ein wertvoller Lebensraum. Hier können Menschen ihr Christsein selbst in die Hand nehmen. Hier kann der einzelne Christ sich als Subjekt erleben, er kann Beziehungen pflegen und sich einbringen. In „Großraumpfarreien“ geht der Kontakt untereinander sehr schnell verloren. Die Priester werden zu Pfarrmanagern, sie haben immer weniger Zeit für die Kontaktpflege und die Seelsorge. Sie werden entwurzelt, weil sie zu „Dauerreisenden“ werden.

Im Blick auf diese Entwicklung sagen wir NEIN:

Wir lehnen eine weitere Vergrößerung der Pfarreiengemeinschaften
ab… “

Was von der Pfarrer-Initiative des Weiteres abgelehnt wird, lesen Sie hier.

Kirchen steuern auf neue Rekordeinnahmen zu

Die Kirchensteuereinnahmen für das laufende Jahr könnten nach den Steuerschätzungen des Bundes einen neuen Rekord aufstellen. Die Einnahmen können nach 3 Rekordjahren noch einmal um vier bis fünf Prozent steigen. Seit 2005 sind die Kirchensteuern bereits um 43% gestiegen

Richtungslos durch die Nacht

Kommentar zum neuen Sparpaket der EKiR

Von Hans-Jürgen Volk

Wohin steuert die Ev. Kirche im Rheinland? In seinem Blog benennt der Präses der Ev. Kirche im Rheinland aus seiner Sicht die Herausforderung: „Diefünfte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung  der EKD zeigt allzu deutlich, dass bei evangelischen Kirchenmitgliedern in der Gesamtheit die Verbundenheit mit der Kirche und die religiöse Sprachfähigkeit kontinuierlich abnehmen. Ein zentraler Grund hierfür liegt in der abnehmenden Breitenwirkung der religiösen Sozialisation, je jünger die Befragten sind, umso seltener geben sie an, religiös erzogen worden zu sein, so die Untersuchung.“ Dieser Analyse müsste eigentlich die Ankündigung folgen, die kirchliche Bildungsarbeit zu verstärken. Schaut man sich die von der Kirchenleitung vorgelegte Streichliste an, so ist genau das Gegenteil der Fall: Allein bei den Schulen in kirchlicher Trägerschaft sollen 4,5 Mio. € eingespart werden. Sogar die Kirchliche Hochschule in Wuppertal steht auf dem Prüfstand. Hier will man 1 Mio. € einsparen. Sollte dies in den Verhandlungen mit den anderen Trägern, der westfälischen und der lippischen Landeskirche nicht gelingen, will man sich aus der Trägerschaft zurückziehen. Dies dürfte dann wohl das Aus für die Kirchliche Hochschule bedeuten. Das „Haus der Begegnung“ in Bonn soll aufgegeben werden, womit man eine weitere Mio. einsparen will. Dies betrifft die Arbeit der Akademie und des PTI. Von den 12,3 Mio. € die eingespart werden sollen, entfallen mit 6,5 Mio. € mehr als die Hälfte auf die kirchliche Bildungsarbeit im engeren Sinne. Philipp Melanchthon dürfte in seinem Grabe rotieren.

Sparen ohne Kompass

Es ist nicht erkennbar, welche theologischen Einsichten oder gar reformatorischen Visionen bei diesem erneuten Umbau- und Sparprogramm handlungsleitend sind. Tatsächlich geht es um’s Geld. Genauer: Man setzt alles daran, die durch den „erweiterten Solidarpakt“ der EKD vorgegebenen Standards im Blick auf die Kapitaldeckung zukünftiger Versorgungsansprüche und die Rücklagenbildung möglichst rasch zu erfüllen. Ob diese EKD-Standards und -Vorgaben sinnvoll sind, ist übrigens bisher von keiner Landessynode wahrgenommen und diskutiert worden.

Der Begriff „Haushaltskonsolidierung“, den die rheinische Kirchenleitung auch in ihrer Vorlage verwendet, ist angesichts dieses Tatbestands irreführend. Es bedarf keiner Frage, dass auch ein Haushalt der Landeskirche am Ende ausgeglichen sein muss. Von einem „strukturellen Defizit“ ist dann zu reden, wenn dieser Ausgleich über mehrere Jahre hinweg nur durch Rücklagenentnahme gewährleistet ist. In der Vergangenheit war dies zweifellos der Fall. Aus diesem Grund wurden die Predigerseminare der EKiR in Bad Kreuznach und Essen ebenso wie das Pastoralkolleg in Rengsdorf geschlossen oder die Immobilie der Ev. Akademie in Mülheim aufgegeben, um nur einige Beispiele zu nennen. Gespart wurde in der Vergangenheit bereits kräftig und schmerzlich. Wie ausgeprägt das angebliche „strukturelle Defizit“ nun tatsächlich ist und ob es angesichts der positiven Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen überhaupt noch existiert, kann niemand präzise sagen, da auf Grund der NKF-Umstellung seit 2012 keine Haushaltsabschlüsse vorliegen. Zahlen legte die Kirchenleitung 2013 vor, diese basierten aber auf der viel zu niedrig angesetzten Planung mit einem Verteilbetrag von 575,5 Mio. €. Am Ende waren es etwa 620 Mio. €. Trotzdem blieb das von der Sondersynode in Hilden beschlossene Sparvolumen auf willkürliche Weise konstant. Dies legt den Schluss nahe, dass man für die Zukunft Haushalte anstrebt, die erhebliche Überschüsse mit sich bringen. Hiermit will man den Kapitalstock der Versorgungskasse verstärken und die eigene Rücklagensituation verbessern. Durch solch eine Entwicklung würde die landeskirchliche Umlage in Teilen zu einer verdeckten Versorgungssicherungsumlage.

Fragt man nach einem „Leitbild“, dass hinter den erneuten Spar- und Umbauprozessen steht, so wird eine bedrückende Analogie zu shareholder-value-orientierten Konzernen sichtbar, die trotz guter Ertragslage Kosten reduzieren und Arbeitsplätze abbauen. So wird in der KL-Vorlage ein in theologischer Hinsicht entsprechend dünner Kaffee angeboten: „Die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung ist auch eine inhaltliche Gestaltungsaufgabe. Bei den (mit den jeweiligen Entscheidungen vorgenommenen) inhaltlichen Positionierungen soll das Wissen leiten, dass die Kirchenbilder vielfältig und die Rolle dieser (pluralen) Kirche in einer (religions-)pluralen und säkularisierten Gesellschaft immer wieder neu zu interpretieren sind. Das theologische Thema der Landessynode 2013 mit dem Motto „Inklusion – Gemeinsam verschieden sein“ beschreibt eine wichtige theologische Grundposition unserer Kirche.“ (S. 5 und 6) Derartige Sätze sind eine noch nicht mal sonderlich liebevoll gestaltete Verpackung um das „Sparpaket“. Sie geben in ihrer Allgemeinheit an Orientierung allerdings gar nichts her. Entsprechend unverbindlich wird die Aufgabe umrissen, die dem ständigen theologischen Ausschuss zukommt: „Um die Verbindung von Auftrag und Handeln nicht aus dem Blick zu verlieren, hat die Landessynode den Ständigen Theologischen Ausschuss beauftragt, den Haushaltskonsolidierungsprozess in besonderer Weise aus theologischer und ekklesiologischer Perspektive zu begleiten.“ (Seite 6) – Diese Sätze sind entlarvend: Theologie darf begleiten und kommentieren, gibt aber keinesfalls die Richtung vor.

Der eigentliche Skandal: wofür das Geld mit vollen Händen ausgegeben wird

Angesichts des Kahlschlags in der kirchlichen Bildungsarbeit, des lieblosen und fachlich unqualifizierten Umgangs mit Einrichtungen wie „dem Haus der Stille“ oder der Behindertenseelsorge, bei der das schöne Ziel der Inklusion missbraucht wird für Einsparungen, ist es unerträglich, wofür in der EKiR das Geld mit vollen Händen ausgegeben wird. Nach den Eckdaten für die Haushaltsplanung 2015 fließen demnächst gut 27% des Nettokirchsteueraufkommens in die Kapitalbildung zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche. Dies ist der wichtigste Grund für die schleichende finanzielle Auszehrung von Kirchenkreisen und Gemeinden trotz guter Einnahmesituation.

Hinzu kommen zwei weitere Faktoren:

  • NKF – hier gibt es anscheinende keine Grenze nach oben. Die Frage ist nur, on die Gesamtkosten für die Umstellung der Finanzverwaltung am Ende bei 60 oder gar bei über 100 Mio. € liegen werden.

  • Die Verwaltungsstrukturreform – hier gibt es noch keine Schätzungen, wie teuer das Ganze werden wird. Fakt ist, dass Kirchenkreise im Moment reihenweise neue Stellen in der Verwaltung schaffen, was unter dem Strich dazu führt, Stellen in der Jugendarbeit, der Kirchenmusik oder der Diakonie zu reduzieren.

Zusammengefasst: Die rheinische Kirche kürzt dort, wo es um die Arbeit mit Menschen geht, dagegen fließt immer mehr Geld in die Stärkung von kirchlicher Organisation und Verwaltung. Über 1/4 der Einnahmen aus Kirchensteuermitteln gehen in Zukunft in Finanzanlagen, was vor allem die Finanzindustrie freuen wird.

2017 Reformation statt Reförmchen

Siegfreid Eckert hat sich den Frust eines Pfarrers über den krichlichen Refromprozess, der mit Kirche der Freiheit begonnen hat von der Seele geschrieben. Entstanden ist eine Streitschrift in der protestantischen Tradition: „Protestantischer Klartext ist angesagt, denn zu oft gehen große Entwicklungen einseitig auf Kosten der kleinsten Einheit. Bei kirchlichen Reformmaßnahmen steht die Glaubwürdigkeit der Reformer mit auf dem Spiel. Angesichts von 500 Jahren Protestantismus befindet sich die EKD im Jahr 2017 auf einem historischen Prüfstand. An diesem runden Geburtstag werden wir um die alte Frage nach Umkehr und Reformation nicht herumkommen. Mit Reförmchen ist keinem geholfen!“

 

Das Gütersloher Verlagshaus hat eine Leseprobe veröffentlicht.

Das Schattenregiment der EKHN: Der erweiterte Solidarpakt stellt die Synode ins Abseits

In den synodalen Debatten der EKHN war von einem „Erweiterten Solidarpakt“ in den Jahren nach 2006 keine Rede. Zu keinem Zeitpunkt wurde die Synode oder deren Finanzausschuss über dieses wichtige Dokument unterrichtet. Wer sich an die Beratungen zur Pfarrstellenplanung in der EKHN erinnert, der kommt freilich nicht umhin zu vermuten, dass der Solidarpakt im Hintergrund eine wichtige Rolle gespielt hat.

Die Kostenstruktur wird im „erweiterten Solidarpakt“ in direkten Bezug zu den Personalkosten gesetzt. Was heißt das konkret?

Zahlenmäßig machen Erzieherinnen, Krankenschwestern und- pfleger zwar den Großteil des Personals aus. Diese Stellen werden aber zu einem erheblichen Teil durch kommunale Zuschüsse oder Krankenkassen refinanziert. Wer hier langfristig sparen will, muss die Refinanzierungskosten erhöhen. Das ist in der EKHN einigermaßen erfolgreich geschehen. In kirchlichen Haushalten bleibt der Pfarrdienst, der zu 100% von der Kirche getragen wird. In ihrem Reformprogramm hat die EKHN die übergemeindlichen Stellen erheblich ausgebaut. Bleibt für eine wirksame Reduzierung der Gemeindepfarrdienst.

Interessant ist der zeitliche Bezug zum „erweiterten Solidarpakt“, der 2006 verabredet wurde. Im April 2007 verkündete die Stellvertretende Kirchenpräsidentin, dass man in Zukunft von einer jährlichen 2%gen Kürzung der Pfarrstellen ausgehen wolle. Auf Einwände aus der Synode legte sie dar, dass es ohnehin nicht mehr die Personen gebe, mit denen die Stellen besetzt werden könnten. Die Pröpste, so die Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten in ihrer Rede, „gaben der Hoffnung Ausdruck, dass in der nächsten Zeit doch mehr Menschen Theologie studieren könnten. Das kann ja sein, und wir werben ja auch für das Theologiestudium, aber wir können unsere Planung nicht auf Hoffnung gründen.“1 Zwei Dinge sind für unseren Zusammenhang wichtig: 1.Die Kirchenleitung begründete die Einsparung von Pfarrstellen nicht mit der finanziellen Situation der Kirche. Im Fall der EKHN wäre die Argumentation schwer durchzuhalten gewesen. 2. Die Kirchenleitung behauptete, sie würde für den Pfarrnachwuchs werben. Das ist falsch.

Nachdem 2007 erstmals das Nachwuchsproblem in der Synode bekannt wurde, gab es eine Reihe von Nachfragen und Anträgen in dieser Sache. Das Schicksal dieser Versuche ist nicht nur bedauerlich, es ist skandalös: Eine entsprechende Anfrage in der Frühjahrsynode 2008 an den Kirchenpräsidenten wird erst gar nicht beantwortet. In einer gemeinsamen Synode mit der Kurhessischen Kirche legen die beiden Kirchen eine Broschüre für Studienanfänger vor. Sie erscheint im Juni 2008, also nach Abschluss des damaligen Abiturs, ohne die Möglichkeit diesen Abitursjahrgang noch zu erreichen. Weil es begründete Kritik an der Broschüre gibt, wird sie in den nächsten Jahren nicht mehr verteilt. Insgesamt sind wohl nur 1200 Exemplare in Umlauf gesetzt worden. Der Versuch Haushaltsmittel bereit zu stellen, scheitert zweimal im Finanzausschuss und einmal mit längerer Diskussion in der Synode.2 In der gleichen Synode im Herbst 2009, in der die Kirchenleitung 20 Mio Euro für die Erprobung neuer Modelle fordert3, erklärt sie es für unmöglich 20.000 Euro für Nachwuchswerbung in den Haushalt einzustellen. Die Zusage, auch ohne zusätzliche Mittel die gewünschte Aufklärungsarbeit voranzubringen, wird nicht eingehalten. Im Amtsblatt 10/2011 verkündet die Kirchenverwaltung, dass Pfarrer geeignete Namen von Schülern und Schülerinnen der Klassen 11-13 an die Personalabteilung melden sollen. „Die Schulen werden von uns direkt angeschrieben und mit Informationsmaterial versehen.“ Das ist bis heute nicht geschehen.

Seit dem ersten Hinweis der Kirchenleitung in der Synode, dass man von einem zukünftigen Pfarrermangel ausgehen müsse, vergehen drei Jahre, ohne dass die Kirche in den Abitursjahrgängen nennenswert und engagiert für ihre Arbeit und den Pfarrberuf geworben hätte. Offiziell befasst sich Kirchenpräsident Jung in seiner Rede zur Lage in Kirche und Gesellschaft im April 2010 erstmals mit der Problematik. Bezeichnenderweise wird das Thema als EKD Thema eingeführt: „Mittelfristig deutet sich für einige Gliedkirchen der EKD Pfarrermangel an“ Nach Jahren bewusster Untätigkeit der Kirchenleitung stellt Jung fest: „Wer heute mit dem Studium beginnt, wird erst in acht Jahren in den Pfarrberuf kommen. …Und ab 2017 gehen jährlich 70 bis 90 Pfarrerinnen und Pfarrer in den Ruhestand.“4 Jung sieht das Nachwuchsproblem als eine EKD Angelegenheit. Das entspricht der Intention des Solidarpaktes. Offenbar hat die EKD in der Personalplanung Vorgaben gemacht, die nun auch in der EKHN umgesetzt werden, obwohl sie mit den finanziellen Bedingungen dieser Kirche und den synodalen Beschlusslagen nicht übereinstimmen.

Genau hier stellen sich gewichtige Fragen:

Wer war befugt, solche weitreichenden Verabredungen zu treffen? Wer wurde darüber in der Kirchenleitung und in der Kirchenverwaltung informiert?

Wie begründen die Verantwortlichen ihre Handlungen?

Wie geht die Synode mit diesem Vorgang um?

 

1 Protokoll der 7. Tagung der Zehnten Kirchensynode, S. 87

2 Protokoll der 15.Tagung der 10.Synode, Nov.2009, S.247-249.

3 Protokoll der 15.Tagung der 10.Synode, Nov.2009, S.132.

4 „Ihr seid das Licht der Welt“ Bericht zur Lage in Kirche und Gesellschaft für die 1. Tagung der Elften Kirchensynode der EKHN, S.17.

Für Pfarrers Renten spekulieren Kirche an der Börse

Gerne reklamiert die Kirche ein moralisches Wächteramt. Sie will die Gesellschaft vor Fehlentwicklungen warnen. Zur Finanzkrise schrieb der Rat der EKD die Denkschrift Wie ein Riss in einer hohen Mauer. Darin wurde das Profitstreben der Finanzindustrie kritisiert.

Doch gleichzeitig beteiligen sich die Kirchen mit ihren Pensionsfonds als Großinvestoren am Finanzmarkt.

Christoph Fleischmann betrachtet in seinem Radiofeature den ethischen Anspruch und die Realität der Pensionsfonds.

Lesen Sie hier das Script: Für Pfarrers Rente spekulieren die Kirchen an der Börse.

Überflüssig. Kommentar zur Rede von Bundespräsident Gauck beim Zukunftsforum der EKD in Wuppertal.

von Siegfried Sunnus

Was für eine Chance – der Bundespräsident spricht auf dem Zukunftsforum der EKD am 15.Mai 2014 in Wuppertal! Versammelt sind die Verantwortlichen der Mittleren Ebene – und zu hören bekommen sie eine präsidiale Rede, die Richtigkeiten ausdrückt, aber den Ruf von Barmen in die Geschichte abschiebt. An einer Stelle wird er persönlich: „Als ich noch Pastor war, musste ich mir gelegentlich klar machen, dass auch die Kirche zur gefallenen Welt gehört.“ Das hätte er ausbauen können, stattdessen sagt er: „Ihnen allen ist das gelegentlich sicher auch schon einmal schmerzhaft bewusst geworden“ – da ließe es sich konkreter werden. Aber er fügt den rätselhaften Satz an: „Das kann natürlich auch tröstlich sein.“ Ich finde, dass dies kein Anlaß zu Trost sondern zum Schmerz ist!
So wie er auch die „junge Kirche“ beschreibt, die „einst in der alt gewordenen römischen Welt wuchs und gedieh und überzeugte: als moralische und spirituelle Avantgarde, als eine frische, eigensinnige, vor allem aber als eine von ihrer Aufgabe zutiefst überzeugte Gemeinschaft“ – das lädt ja ein zum Aufspüren des großen qualitativen Unterschied. Aber er sagt nur: „Solchen Geist wünsche ich mir – von Ihnen, von uns, von den Kirchen in diesem Land.“ Was diesen Geist abbremst, könnte doch wenigstens angedeutet werden!
Berührt hat mich die Erwähnung von Johannes Rau zum Abschluß seiner Rede – er zitiert „seine ständige Ermahnung: ‚Tun, was man sagt, und sagen, was man tut‘“ – und erinnert an das Bibelwort, das auf seinem Grabstein steht: „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“ – damit hatte ja die Magd den Petrus denunziert… Und das ist der Schmerz über eine Kirche, die so oft ihren Herrn verleugnet!
Diese Enttäuschung über die Rede liegt wohl an der Entfremdung, die beim Bundespräsidenten im Verhältnis zur offiziellen Kirche zu spüren ist – er hat sich schon entfernt von der Auseinandersetzung, die mit der „Kirche der Freiheit“ aufgebrochen ist. Der Umbau der landeskirchlichen Organisationen zu Gunsten der „Mittleren Ebene“ und zu Lasten der Gemeindeautonomie: das wäre ein präsidiales Statement wert gewesen im Namen seiner von ihm so oft beschworenen Freiheit!

‚Nur falsche Prognosen sind gute Prognosen‘ – Das Problem von Prognosen bei komplexen Systemen. Von Wolfgang J. Koschnick.

Eine gründliche und solide Analyse zur Problematik von (Langfrist-) Prognosen bei komplexen Systemen, die auf das komplexe System Kirche übertragbar ist.

21. Mai 2014.

Nur falsche Prognosen sind gute Prognosen und das ist auch ganz gut so. Eine sehr gute Zusammenfassung des Problems von Prognosen.

„Hellseher, Wahrsager, Kaffeesatzleser, Spökenkieker, Astrologen und Ökonomen haben eine Gemeinsamkeit: Ihre Prognosen gehen meist in die Hose. Und wenn sie das ausnahmsweise einmal nicht tun, ist das reiner Zufall…“

Das hat Gründe:

„… Komplexe Systeme haben einige Charakteristika, die sie deutlich von anderen unterscheiden – auch von bloß komplizierten Systemen:

Sie sind agentenbasiert: Sie bestehen aus einzelnen Teilen (Agenten), die miteinander in Wechselwirkung stehen (Menschen, Konsumenten, etc.) und jeder für sich agieren.
Sie sind nichtlinear: In komplexen Systemen besteht eine große Empfindlichkeit für kleine Abweichungen in den Startbedingungen. Geringfügig veränderte Anfangsbedingungen können im langfristigen Verlauf zu völlig anderen Entwicklungen bei verschiedenen Systemen führen. Veranschaulicht wird das am Beispiel des „Schmetterlingseffekts“ und der Annahme, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann. Die Wirkzusammenhänge der Systemkomponenten sind im Allgemeinen nichtlinear.
Sie haben emergente Eigenschaften: Infolge des Zusammenspiels seiner Elemente bilden sich spontan neue Eigenschaften oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems heraus. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht – oder jedenfalls nicht offensichtlich – auf isolierte Eigenschaften seiner Elemente zurückführen. Sie lassen sich auch nicht aus der isolierten Analyse des Verhaltens einzelner Systemkomponenten erklären. Sie sind Systemeigenschaften.
Ihre Komponenten interagieren: Komplexe Systeme bestehen aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten, die auf vielfältige Weise miteinander interagieren. Die Wechselwirkungen zwischen den Systemkomponenten sind lokal, ihre Auswirkungen in der Regel global. Ein komplexes System ist daher ein System mit multiplen Interaktionskomponenten, dessen Verhalten nicht vom Verhalten der Komponenten hergeleitet werden kann…“

… Fehlprognosen als Regelerscheinung
Deshalb ist der Prognose-Kalauer „Prognosen treffen nur ein, wenn die Leute sich auch bedingungslos an die Prognose halten“ von doppeltem Wert: Als Kalauer ist er lustig und als Beschreibung der Wirklichkeit trifft er den Nagel auf den Kopf. Die Modellrechnungen, die einer Prognose zu Grunde liegen, können die wahre Komplexität der Wirklichkeit nicht annähernd beschreiben. Und daher sind ihre Parameter nur vorsichtige Näherungen. Wenn sie sich anders als in der Rechnung vorgesehen ändern, wird die Prognose falsch. Und wenn sie sich stark ändern, kann sich gar die Richtung der Prognose ändern. Aus prognostiziertem Wachstum wird dann Niedergang.“ Die vollständige Analyse.

 

„Die christliche Kirche ist die Gemeinde…“ (Barmen III). Das Impulspapier der EKD und das evangelische Kirchenverständnis. Prof. Dr. Eberhard L. J. Mechels

Vorbemerkung

Eine persönliche Bemerkung möge mir vorweg erlaubt sein: das Faszinierende und Aufregende am Thema „Kirche“ und an der Lehre von der Kirche, der Ekklesiologie, ist für mich ihre Scharnierfunktion oder Brückenfunktion zwischen der unsichtbaren Wirklichkeit, die Gegenstand des Glaubens ist, und der sichtbaren Welt, die Sache der empirischen Erfahrung ist. Zwar gibt es eine ziemlich lange protestantische Tradition, die gerade diese Vermittlungsfunktion von geistlicher und empirischer Wirklichkeit der  Kirche umgeht oder gar beseitigt. Dann haben wir eine Art Zwei-Bereiche-Lehre im Gebiet der Ekklesiologie. Demnach verhält sich die geglaubte Kirche zu ihrer empirischen Gestalt oder Organisation indifferent. Dann gerät die Ebene der Gestalt, auch der Gestaltung, in die Beliebigkeit. Das bedeutet: die Organisation der Kirche, ihre äußere Gestaltung, ihre Sozialgestalt regeln wir je nach den Erfordernissen der Nützlichkeit, der geschichtlichen Situation, d.h de facto: nach der jeweiligen Verfassung der gesellschaftlichen Umwelt. D.h.: die Kirche hat in diesen scheinbar „äußerlichen“ Belangen keinen eigenen Kompass, sondern ist außengelenkt. Die Fragen der Organisation, der Gestaltung sind Ermessensfragen, sie haben keine geistliche Relevanz und sind in der gegenwärtigen Reformdiskussion bezogen auf Erfordernisse der Integration von Kirche und Gesellschaft. D. Bonhoeffer war als junger Mensch von 21 Jahren  in mancher Hinsicht seiner Zeit theologisch weit voraus, indem er genau an dieser Stelle der Dissoziierung von geistlicher und empirischer Ebene der Kirche das Problem erkannte und  die geglaubte communio sanctorum mit der sozialen Empirie der Kirche wieder auf Tuchfühlung brachte.

In Anlehnung an Lessings Dictum formuliert: Den garstigen breiten Graben zwischen der geglaubten unsichtbaren Kirche und der empirischen sichtbaren Kirche hat er ins Visier genommen. Sein Anliegen steckt bereits im Titel: „Sanctorum communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche“. Sanctorum communio ist eine Glaubenswirklichkeit – Soziologie ist eine empirische Wissenschaft, und die dogmatische Untersuchung bringt das in Berührung, sie sitzt genau dazwischen an der Schnittstelle. Und so durchbrach er die ekklesiologische Zwei-Bereiche-Ideologie. Es geht um den Schnittpunkt (das ist der Akzent von A. Denecke) bzw. die Schnittmenge (das ist eher meine Interpretation) zwischen geistlicher und sozialer Wirklichkeit der Kirche. Dieses Bemühen für die heutige Situation fortzuschreiben, das ist ein Weg, um im gegenwärtigen Streit über den Weg der Kirche aus der derzeitigen Blockade, um nicht zu sagen Agonie herauszukommen. In dieser Sache auf Bonhoeffer zu hören ist außerordentlich hilfreich. Um es mit Worten von Eberhard Jüngel zu sagen (er sagte das in Bezug auf Karl Barth): Die Zitrone gibt immer noch Saft.

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