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Ein systemisches, Gemeinden und andere Rechtsträger unterstützendes Ressourcenverbrauchskonzept jenseits der Doppik

von Friedhelm Schneider, Pfarrer + Immobilienfachwirt

Über die Problematik der Doppik haben wir im Zusammenhang der www.wort-meldungen.de schon des öfteren informiert, u.a. durch das Thema des Monats Mai 2013.

Manfred Alberti berichtet nun in seinem Rundbrief (s.o.) von einer speziellen Variante der Doppik der EkiR. Die in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich ist. Zunächst zum Sachverhalt, den ein Superintendent aus dem Saarland gegenüber der spezifisch ‚rheinischen‘ Abschreibung der EkiR auf der Sondersynode in Hilden vorbrachte:

Ein saarländischer Superintendent hinterfragte – und stützte sich dabei auf ein Votum von über einhundert zustimmenden Unterschriften, ob bei NKF die „Abschreibung“ von Gebäuden und die gleichzeitige Erhebung einer „Substanzerhaltungspauschale“ nicht eine Doppelung ergebe, die überflüssig sei und im Endeffekt zu einem Haushaltsdefizit führe, das ohne diese Doppelung so nicht entstanden wäre? Auch aus anderen Voten von Synodalen war deutlich die Befürchtung herauszuhören, dass hier durch NKF ein Haushalt künstlich defizitär gerechnet würde. Weder die Kommunen noch die Wirtschaft würden eine solche Doppelung kennen. Zwar müssen Unterhaltungskosten eingeplant werden: aber dann kann es nur entweder Abschreibung oder Substanzerhaltungspauschale geben. Niemals beides zusammen. Hier sei NKF falsch angelegt.“

Der Einwand des ungenannten Superintendenten ist aus immobilienwirtschaftlicher Sicht ohne jegliche Reflexion sofort nachvollziehbar. Und er ist in der Form auch für Laien ohne weiteres plausibel: Rücklagen für Baumaßnahmen muss man selbstredend nur einmal bilden. Das Argument war ja immer, die Sicherstellung der Rücklagenbildung für ggf. erforderliche Baumaßnahmen (sog. Ressourcenverbrauchskonzept). Eine solche Sicherung benötigt man nur einmal. Die doppelte Sicherung wäre quasi vergleichbar einem Menschen, der Gürtel und Hosenträger immer gleichzeitig trägt, um den Verlust der Hose in allen erdenklichen Fällen zu vermeiden. Eine Person, die etwas Tragikkomisches hätte. So verhält es sich auch mit der doppelten Doppik: sie hat etwas Tragikkomisches.

Jenseits dieser Tragikkomik leistet allein schon die ’normale‘ Doppik der Verschärfung der Lage der Gemeinden durch Entzug von Mittel Vorschub. Warum? Man vergegenwärtige sich noch einmal das Ziel: es sollte einst um die Bildung von Rücklagen für die Instandhaltung der Gebäude gehen. Das war ja einst immer das zentrale Argument pro Doppik, das Ressourcenverbrauchskonzept. Dazu braucht man aber die Doppik gar nicht. Die Landeskirchen leisten seit eh und je Rückstellungen für spätere Pensionen – auch ohne Doppik! Man kann also Ressourcenverbrauchskonzepte auch ohne Doppik realisieren. Man muss es nur wollen. Sonderfälle, in denen es Störungen bei der Rücklagenbildung für Pensionen gibt (siehe EKiR), widersprechen hier nicht.

Bei allem, was man tut, sollte man das Ziel nicht aus den Augen verlieren, auch bei der Rücklagenbildung für Instandhaltung. Dazu braucht es Finanzmittel, die früher in Kirchengemeinden nicht systematisch geplant wurden. Genauer: es gab dabei große Unterschiede, gerade in den ziemlich autonomen Gemeinden der EkiR. Rechtzeitige Rücklagenbildung sollten aber alle Gemeinden betreiben – und zwar entsprechend der Höhe des konkreten Finanzbedarfs für Instandhaltung. Dieses Ziel der präzisen Planung leistet die Doppik aber gerade nicht. Dafür ist sie auch nicht gemacht. In der Doppik erfolgt die Rücklagenbildung nur in pauschaler Weise kennziffernorientiert. Bei einem heterogenen Baubestand wie dem der Kirche führt die Anwendung der Doppik in der Regel zu einer aufgebauschten, überhöhten Rücklagenbildung in eigentlich nicht erforderlichem Umfang. Diese Erkenntnis war Ergebnis eines Projektes zur Unterstützung der Gemeinden bei der Immobiliensteuerung, das von K.IM. (www.k-im.net; www.k-im.org) im jahr 2005 in der EKiR – im Kirchenkreis Ottweiler – durchgeführt wurde. Das von K.IM. Kirchliches Immobilienmanagement zur Ermittlung von Rückstellungen angewandte Verfahren war kein pauschalisierendes, kennzifferngestütztes, sondern ein an den Realdaten orientiertes Verfahren. Das Ergebnis war – orientiert am jeweiligen Gebäudezustand – bei allen Gemeinden unterschiedlich. Im Durchschnitt aller Ergebnisse lagen die Werte aber bei ca. 2/3 der bei Abschreibungswerten der Doppik einzusetzenden Ergebnisse. Die Gemeinden hätten also bei Anwendung dieses Verfahrens nicht nur eine um ca. 1/3 geringere rechnerische, sondern auch tatsächliche Finanzbelastung als durch die Doppik. Und das bei deutlich besser Information über die konkreten baulichen Erfordernisse in zeitlicher Vorausschau. Die Gewinne also: deutlich geringerer Finanzmittelentzug bei gleichzeitig signifikant höherer Transparenz.

Just diese Erkenntnis zeigte das erste Projekt einer flächendeckenden Informationserhebung von Gebäudedaten in der EkiR – und zwar im Kirchenkreis Ottweiler – im Jahr 2005. Durchgeführt wurde es von K.IM. Kirchliches Immobilienmanagement. Eine durchschlagende Erkenntnis. (In der EkiR wurden später aufgrund eines Synodenbeschlusses Datenerhebungsprojekte, genannt GSA, durchgeführt, die leider diese grundlegenden Erkenntnisse nicht berücksichtigten).

Was ist heute zu tun? Eigentlich gehörte die Doppik wieder abgeschafft. Ob dazu seitens der Verantwortlichen der Mut vorhanden ist, darf bezweifelt werden. Aber Kirche braucht die Doppik nicht. Kirche, jedenfalls Gemeinden und Einrichtungen/Dienste, bräuchten eine an einigen Stellen um KLR und andere Kennziffern erweiterte Kameralistik. Mehr nicht. Es bräuchte aber im Bereich der Gebäude ein differenziertes strategisches und immobilienwirtschaftliches Informationssystem. Die Kosten für diese Alternative liegen bei 25% der Kosten der Einführung der Doppik. Kosten die – offiziellen Zahlen zufolge – mit ca. 60 Mio. € beziffert werden (doppelt so teuer wie die Tebartz’sche Residenz). 60 Mio. – das dürfte aber kaum ausreichen. Vor allem sind dabei die dauerhaften Folgekosten der im Vergleich zur Kameralistik doppelt so aufwändigen Buchhaltung nicht berücksichtigt.

Einige Landeskirchen, u.a. die EkiR, haben die Doppik schon teilweise implementiert. Die EKiR leistet sich sogar die „doppelte“ Doppik. Dazu ist hier schon genug gesagt. Aber auch die einfache Doppik hat einen strangulierenden Effekt. Abhilfe kann die realdatenbasierte Immobiliensteuerung schaffen, die man im Zweifelsfall zusätzlich verwenden muss. Und daran ist dann die Rücklagenbildung zu orientieren. Das würde Strangulierungseffekte bei den Gemeinden zwar noch nicht beenden, aber deutlich abmildern.

Den Landeskirchen, die die Doppik noch nicht eingeführt haben, sollte man empfehlen, noch einmal mit Verstand zu prüfen, ob Aufwand und Wirkung in einem auch nur halbwegs verantwortbaren Verhältnis stehen. Und ob die Doppik die Zielsetzung der Kirche unterstützt – oder nicht eher fremde Interessen bedient.

EKHN-Synode: Studie zu den Kapitalanlagen in Höhe von 2,2 Mrd. € gibt zu denken

von Friedhelm Schneider.

Zweifel kommen einem, betrachtet man die zentralen, im Bericht des Rechnungsprüfungsausschusses der EKHN (vgl. S. 117ff: Prüfung der Geldanlagen der EKHN) für die Herbstsynode 2013 genannten Kritikpunkte:  komplexere Anlageprodukte bei unzureichender Professionalisierung und Ausstattung des Personals –  Abbau der Finanzkontrolle – hohe Kosten für externe Mandate. So lauten die Kritikpunkte an der Organisation der Kapitalanlagen. Zur Anlagestrategie  wird kritisch angemerkt: Dachfonds nicht erforderlich – Overlay-Management unüblich – ALM-Studie zu Risiko-Rendite-Profil veraltet – fehlende Diskussion um Anlagestrategien und Umsetzungsvarianten.

Überraschenderweise findet sich in der Darstellung des Rechnungsprüfungsausschusses kein Hinweis auf Verluste der langfristigen (!) Finanzanlagen während des Finanzcrashs 2007. Hier erführe man gerne mehr. Auch so hat es der Bericht in sich (vgl. S. 117ff: Prüfung der Geldanalgen der EKHN). Er sticht schon formal heraus: offiziell der Prüfbericht des Rechnungsprüfungsausschusses,  wird der Text sogleich vom Finanzdezernenten Thomas Striegler kommentiert. Allein dieser Vorgang ist bemerkenswert und weist auf die Brisanz des Ergebnisses. Der mit Fachtermini gespickte Wortlaut (s.o.) gibt diese Brisanz aber nur stark verklausuliert und für den Laien (also die betroffenen Synodalen) nicht oder kaum nachvollziehbar wider. Die Synodalen  werden also, wollen sie den Bericht vor ihrer Entscheidung der Entlastung verstehen, die Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft  anfordern müssen und durch entsprechende Nachfragen die allgemein verständliche Wiedergabe des Inhalts fordern müssen. Diese – entgegen den öffentlichen Beteuerungen der zurückliegenden Wochen – völlig intransparente und verschleidernde Darstellung ist zu rügen. Dafür dürfte nicht der Rechnungsprüfungsauschuss verantwortlich zeichnen. Letzterem muss man attestieren, dass er seiner Aufgabe der Kontrolle der Kirchenleitung mit dieser Prüfung gerecht wurde.  Das erfordert nicht nur Sachverstand, sondern auch Mut. Den hatte in dieser Periode schon der Verwaltungsausschuss in Sachen Pfarrstellenbemessung 2025 bewiesen, als er die Vorlage der KL einer 2-prozentigen Kürzung der Pfarrstellen abwies.

Zu erwarten und zu befürchten ist, dass das Ergebnis bei Prüfungen in anderen Landeskirchen nicht besser ausfallen würde. Insofern sind entsprechende Prüfungen in allen Landeskirchen und der EKD unbedingt zu fordern – bevor die Presse und Öffentlichkeit beim nächsten bekannt werdenden Finanzskandal (und sei er auch in der katholischen Kirche) genau an dieser Stelle die Versäumnisse der Synoden anprangert.

Doch zum EKHN- Bericht. Was war Gegenstand?  „Die risikoorientierte Prüfung des Rechnungsprüfungsamtes befasste sich im Berichtsjahr 2012 schwerpunkmäßig mit der Prüfung der Geldanlagen der EKHN.  Ein externes Wirtschaftsprüfungsunternehmen wurde vom Rechnungsprüfungsamt mit der Prüfung der Anlagerichtlinien und der geldanlagenbezogenen Organisation innerhalb der EKHN beauftragt.“  Die Prüfung erfolgte in mehreren Komplexen:  Komplex 1.) Infos/Entscheidungen auf Ebene EKHN Komplex 2.) Anlagerichtlinie/Anlagestrategie Komplex 3.) Dachfondsstruktur  Dazu nur wenige Ausschnitte: 1.1 Die derzeit verfolgte aktive Anlagestrategie erfordert im Wesentlichen eine angemessene Organisationsstruktur, um die eingegangenen Risiken zu kontrollieren, sowie die Fähigkeit, marktbedingte (temporäre) Wertschwankungen zu akzeptieren. Die aktuelle Organisationsstruktur und die derzeitigen personellen und fachlichen Ressourcen der EKHN (insb. im Hinblick auf Funktionstrennung, Compliance, Risikomessung/Risikomanagement) werden dem Anlagevolumen und der Komplexität der Anlagen nicht vollständig gerecht. 1.2 Die handelnden Personen in der Vermögensanlage der EKHN haben gem. Stellenplan hauptberuflich andere Funktionen zu erfüllen. Die zeitliche Beanspruchung von wesentlichen Entscheidungsträgern und handelnden Personen in der Vermögensanlage ist nach Auffassung der externen Prüfer zu hoch; dies gilt in geringerem Maße auch für die Versorgungsstiftung. 1.3 Durch die Änderung des § 3 Kirchenverwaltungsgesetz vom 14. Mai 2011 ist die unabhängige Kontrolle der wesentlichen Struktur- und Anlageentscheidungen eingeschränkt. Die Funktionstrennung sollte durchgehend gestärkt werden. Insbesondere sind die Funktionen Risikomanagement, Controlling und Compliance von der operativen Verantwortung derzeit nicht vollständig getrennt. Das Mandat und die fachliche Qualifikation der Kontrollfunktionen sollten weiter ausgebaut werden.  2.3 Die Aufnahme von zentralen (quantitativen) Leitplanken für die Anlage in die Anlagerichtlinie (z.B. Eckdaten der Allokation, zulässige Instrumente) wird vorgeschlagen. Eine Zusammenfassung zentraler „Leitplanken“ in der Anlagerichtlinie könnte die Transparenz erhöhen und den Handlungsrahmen absichern. (Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verweist auf die „Empfehlungen für Mindestanforderungen an ein Finanzanlagenmanagement“ des Bundesfinanzministeriums vom 8.2.2013 – siehe Anlage)  3.1 Das Anlageuniversum und Volumen wurde in den vergangenen Jahren ausgeweitet, die Komplexität des Portfolios hat sich erhöht. Rendite und Sicherheit sind von der gewählten Organisationsvariante Dachfonds unabhängig und könnten auch ohne Dachfonds erfüllt werden. Die Entscheidung für vier „Fonds / Teilvermögen“ (hier organisiert als Dachfonds) ist jedoch sinnvoll, da sie eine individuelle Allokation und Steuerung der unterschiedlichen „ALM-Profile“ sowie individuelle Ausschüttungen ermöglichen… Eine ALM-Studie (ALM=Asset-Liability-Management) ist die zentrale Grundlage zur Definition eines für die Zwecke der EKHN angemessenen Rendite-/ Risikoprofils; sie sollte ca. alle drei bis fünf Jahre durchgeführt werden. Die derzeit vorliegende ALM- Studie wurde im Jahr 2006 erstellt. Bei der Versorgungsstiftung werden ALM Studien regelmäßig durchgeführt, zuletzt 2009. Die Kirchbaurücklage ist erst im Jahr 2009 errichtet worden und konnte somit im Jahr 2006 nicht in die Studie einbezogen werden.  3.6 Das mit der Kapitalanlagengesellschaft für die Treuhandanlagen und die Kirchbaurücklage vereinbarte „Overlay-Management“ kann Wertschwankungen nach unten abmildern, stellt jedoch keine „Garantie“ für eine tatsächliche Verlustbegrenzung unter Stressbedingungen dar. Zudem ist dieses Mandat mit signifikanten Kosten (rd. 1 Mio. Euro pro Jahr) verbunden. 3.7 Am Markt sind vergleichbare Strukturen auch ohne Overlay verbreitet. Sofern eingesetzt, werden Overlays von langfristigen Anlegern üblicherweise zur Absicherung von Aktien- und Währungsrisiken verwendet;  Zins- / Rentenrisiken (wie im Falle der EKHN) sind von untergeordneter Bedeutung. Als langfristiger Anleger könnte die EKHN auf das Overlay verzichten…  3.8. Empfehlung: 1. Es wird eine ergebnisoffene Diskussion struktureller Alternativen zum derzeitigen EKHN- Modell in der Vermögensanlage empfohlen. Die strategischen Alternativen und Umsetzungsvarianten sollten beschrieben und die jeweiligen Vor- und Nachteile der Alternativen im Hinblick auf die Rangfolge der Ziele Vermögenserhalt, Ethik, Rendite (Ausschüttung), Risiko und Kosten in strukturierter Form abgewogen und bewertet werden. Dabei sind bestehende Zielkonflikte zu thematisieren und zu berücksichtigen. 2 Zentrale Steuerungsimpulse sollten von der EKHN definiert werden. Wesentliche steuerungsrelevante Kennzahlen sollten auf Grundlage einer aktuellen ALM-Studie abgeleitet und von der MMaster-KAG umgesetzt werden. …  Der von der Kirchenleitung nach der Finanzkrise begonnene Prozess einer Professionalisierung des Managements der Geldanlagen sollte fortgeführt werden, jedoch sind hierfür strukturelle Veränderungen im Risikomanagement sowie bei Beibehaltung der derzeitigen aktiven Anlagestrategie ein signifikanter personeller Ressourceneinsatz notwendig.“

Nachwuchsproblem ist hausgemacht

Nach der katholischen Kirche hat nun auch die evangelische Kirche ein Nachwuchsproblem. Das zwingt zu Reformen. Von Gabriele Meister

Die evangelische Kirche hat ein Nachwuchsproblem. Im Norden Deutschlands werden allein in den nächsten sieben Jahren 356 Pfarrer in den Ruhestand gehen. Das sind gut zwanzig Prozent der dortigen Pfarrerschaft. Gleichzeitig ist die Zahl der Theologiestudenten rapide gesunken. Zum Artikel.

Kapitaldeckung als Säule neoliberaler Organisationsreformen oder: die EKiR scheut keinen Konflikt

Die grundlegenden Institutionen im Staate Deutschland werden mit Beginn der sog. Reformprozesse einer grundlegenden Wandlung unterzogen.: das Bildungswesen in Schulen und Hochschulen, das Gesundheitswesen. Auch die Kirche macht mit. Dabei zeigen sich nicht nur vielfältige Parallelen, sondern ein einheitliches Muster wird sichtbar, das mit dem Stichwort „Neue Steuerungsmodelle“ bezeichnet werden kann.

In einem ersten Beitrag in den Wort-Meldungen stellten wird das Organisationsmodell in wesentlichen Aspekten dar.

Zu den neuen Steuerungsmodellen zählen auch die Doppik (bzw. NKF). Im Thema des Monats Mai haben wir Für und Wider ausführlich diskutiert. Fazit: viel Aufwand, wenig Nutzen. Vgl. dazu den Artikel des wohl bekanntesten Forschers in dieser Sache, Prof. Bogumil, Bochum im Dt. Pfarrerblatt. Wir erinnern daran, dass der Bund sich im Jahr 2009 – mit Unterstützung des IWF – gegen die Doppik/NKF und für die erweiterte Kameralistik entschieden hat. Dass selbst der Bund solche Unterstützung bedurfte mag anzeigen, wie stark der Druck auf die öffentlichen Institutionen ist, dies Reformprogramm vollumfänglich umzusetzen. Allein der Bund hat widerstanden.

Wie die Rezeptur für die institutionelle Transformation aussieht, kann bspw. im Gesundheitswesen am System der Krankenkassen abgelesen werden. Anzumerken ist, dass auch die Krankenkassen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts bilden wie die Kirchen. Es sind genau die Themen, die aus der kirchlichen Reformdebatte hinlänglich bekannt sind.

Die entsprechenden Regelungen finden sich in SGB IV.

Rechnungswesen:

Dort wird in § 69 für das Rechnungswesen die Einführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sowie Kosten- und Leistungsrechnung sowie Benchmarking festgelegt. (Anmerkung: das ist durchaus in vielen Fällen hilfreich. Quantitative dürfen aber nicht über qualitative Fragestellungen dominieren. Nebenbei: solche Berechnungen des internen Rechnungswesens sind auch mit der Kameralistik darstellbar. Dazu braucht es also nicht die Doppik/NKF!).

Personalwesen:

Der Personaleinsatz ist nach diesen Anordnungen zu überprüfen und zu begründen. Dazu sind „anerkannte Methoden der Bedarfsermittlung“ anzuwenden. Ob solche „anerkannten Methoden“ auch bei der Bedarfsermittlung für Pfarrstellen – und die entsprechenden massiven, den Rückgang der Mitgliederzahl weit überschreitenden Stellenkürzungen angewandt werden? Da bei einem Anteil der Pfarrgehälter von max. ca. 20% am Haushaltsvolumen finanzielle Argumente nicht ziehen, liegt dies nahe. Dann sollten diese „anerkannten“ Methoden aber offen kommuniziert werden.

Kapitaldeckung:

Ein spannendes Thema behandelt § 80 SGB IV. Dort geht es um die Bildung von Rücklagen. Rücklagen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen? Finanzieren sich die gesetzlichen Kassen nicht über die Beiträge? Ist nicht die Beitragsanpassung das notorische und adäquate Mittel dieses Systems, Schwankungen des Finanzbedarfs auszugleichen? In § 80 heißt es: „Die Mittel des Versicherungsträgers sind so anzulegen und zu verwalten… , dass ein angemessener Ertrag und eine ausreichende Liquidität erzielt werden.“ Die Praxis der Rücklagenbildung der Kassen bedeutet in der Praxis (wie in allen Formen von Kapitaldeckungen): die Beiträge müssen heute erhöht werden (sonst gäbe es ja keine Mittel, die in die Rücklagen fließen könnten), damit mit den entsprechenden Anlagen in Zukunft Erträge erwirtschaftet werden. Dies soll dann eine Rücklage leisten, die nach § 83 in Wertpapieren oder Aktien zu erfolgen hat. Angaben über das Volumen solcher Rücklagen sind nicht bekannt. Von Interesse ist, dass „Anschaffung, Verkauf, Verwaltung und Verwahrung von Wertpapieren für andere…ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft im Sinne von § 1 KWG“ ist (wikipedia). Selbstredend sind die nicht kostenlos, vgl. z.B. die Angaben einer Bank. Die Banken sichern sich also bei der Rücklagenbildung durch den Zwang der Anlageform Wertpapier in Verbindung mit dem Zwang zur Rücklagenbildung einen eigenen Anteil an Provisionen, die für die Aufgabenerfüllung der Institution nicht mehr zur Verfügung stehen. Von der Reform der Altersversorgung in der Agenda 2010 ist dies System bekannt. Die Privatisierung führt zum Zwang von Anlagen, für die Provisionen für die Banken anfallen. Mittlerweile ist u.a. durch Studien wie die von Stiftung Warentest bekannt, wie wenig effizient diese Art von „abgesahnten“ Finanzierungssystemen ist. Kurz: die Wirksamkeit der jeweiligen Institution wird geschwächt.

Spannend wird die Sache dadurch, da die Rücklagenbildung als Finanzierungsinstrument bei den Krankenkassen eigentlich nicht nötig ist – die Stellschraube sind ja die Beiträge und ggf. deren Anpassung an einen veränderten Bedarf (s.o.) – darf auf ein wichtiges systembildendes Element der Reformprozesse geschlossen werden: die Finanzierungssysteme sind so zu gestalten, dass die Banken einen Anteil des Mittelflusses der in den Institutionen vorhandenen Mittel umgeleitet wird zu den Banken. Das mögen im Einzelfall nur wenige Prozentpunkte sein, in der Summe aller betroffenen Institutionen, dürften aber ansehnliche Beträge entstehen.

Nach diesem etwas ausholenden Vorspann kommen wir nun zur aktuellen Fragestellung kirchlichen Finanzmanagements. Auch hier konstatieren wir eine verstärkte Anlagenpolitik. Rückstellungen für Pensionen waren schon immer üblich. Dabei waren große Teile umlagenfinanziert über die BfA. In der EKHN bspw. von 1975 bis 2003. Auch andere Landeskirchen haben an dieser Mischfinanzierung partizipiert. Der Ausstieg führte in der EKHN Synode nicht nur zu heftigen Auseinandersetzungen, sondern auch zum „Ausstieg“ des damaligen Fraktionsvorsitzenden des Landtages (SPD) Armin Klauss aus der EKHN-Synode. Seither werden die Pensionsverpflichtungen der EKHN vollständig durch entsprechende Kapitalanlagen gedeckt. Das Ziel liegt dabei um bis zu 15% über dem finanzmathematisch erforderlichen Soll (also: 115%).

Seit Kurzem werden in den Landeskirchen aber auch Rücklagen für andere Versorgungsleistungen wie Beihilfen gebildet. Begründet wird dies meist mit den Anforderungen der Doppik. Da die Kirche aber nicht nach HGB, nach dem Handelsgesetzbuch bilanzieren muss, kann sie die Regeln der Bilanzierung letztlich frei handhaben. Mehr noch: sie kann auf die Doppik selbst verzichten! Dennoch kann und sollte sie – in vernünftigem Umfang – Rücklagen bilden. Und hat dies bislang auch ohne Doppik getan! Insoweit sind solche Begründungen also nur vorgeschoben. Mehr Transparenz wäre angebracht!

Wo liegt aktuell das Problem? Das Problem liegt schlicht in dem zu leistenden Kraftakt, Mittel in erforderlicher Höhe für eine Kapitaldeckung der Beihilfeleistungen bereitzustellen. Wo Zahlen vorliegen, in der Württembergischen und Bayerischen Landeskirche etwa, bewegen sich die Summen bei ca. 60 % eines Jahreshaushaltsvolumens oder dort bei 300 bis 400 Mio. €. In Verbindung mit Regelungen, die das ambitionierte Ziel als höchstes Ziel priorisieren, kommt es zu grotesken Situtationen, wie Hans-Jürgen Volk für die EKiR beschreibt: „Vor einiger Zeit wurde entschieden, alles was möglich ist dem Kapitalstock der Versorgungskasse zuzuführen, die tatsächlich vordem durch kaum fassbare Fehlentwicklungen in eine Schieflage geraten war. Seit der Zeit hat die rheinische Kirche ein fragwürdiges Luxusproblem: Je höher das Kirchensteueraufkommen ist, desto umfangreicher fallen die Zuzahlungen an die Versorgungskasse aus, was auch bei einer guten Finanzentwicklung der Landeskirche, den Kirchenkreisen und den Gemeinden fiskalisch die Luft zum Atmen nimmt. Im Schreiben von Rekowski und Weusmann wird dies so ausgedrückt: „Bei der Versorgungssicherungsumlage wirkt sich aus, dass das zugrunde liegende Kirchensteueraufkommen aufgrund aktualisierter Schätzungen in der Planung erhöht wurde, wodurch sich der prozentuale Anteil ebenfalls erhöht.“ So kommt es zu der paradoxen Situation, dass gespart werden muss, weil die Einnahmen steigen.“

Aus Sicht der betreffenden Institution Kirche ist die Verfolgung dieses Ziels in mehrfacher Hinsicht fraglich:

  1. beim Volumen der Beihilfeleistungen handelt es sich um Beträge, die von der Größenordnung immer auch vom laufenden Haushalt (also dem System „umlagenbasiert“) bestritten werden können. Wenn dies einmal nicht mehr möglich sein sollte, ist die Kirche ohnehin am Ende.
  2. Die Etablierung des kapitalgedeckten Systems führt heute zu Einschnitten (und damit zu Konflikten etc.), führt also heute zu Wirkungsverlusten der Kirche, die aus unterschiedlichen Gründen morgen ganz heftig auf die Kirche zurückschlagen werden. Wir werden dies Thema in einer späteren Ausgabe der Wort-Meldungen ausführlich behandeln!
  3. Die Kapitaldeckung birgt hohe Risiken, die die zunehmenden Börsencrashs belegen. Verlierer beim Crash 2007 waren überwiegend die meisten deutschen Landesbanken oder Banken, die im Staats- und Infrastrukturbereich tätig waren wie die HRE oder die IKB-Bank. Die meisten Landesbanken wurden danach aufgelöst oder von anderen übernommen. Die (Schulden der) HRE wurden verstaatlicht. Das könnte ein warnendes Beispiel sein und zur Frage führen, wer wohl das nächste Opfer der „Greater Fools Theory“ wird? Opfer sind ja offensichtlich überwiegend staatliche oder quasi-staatliche Einrichtungen. Man darf fragen: wer werden beim nächsten Crash die Opfer unter den öffentlichen oder quasi- öffentlichen Institutionen sein?
  4. Kapitaldeckung funktioniert logischerweise nur dann, wenn (real) Zinsen erwirtschaftet werden. Momentan liegen die Zinssätze bei derlei Anlagen aber auf einem historischen Tiefpunkt. Die Erträge erzielen kaum den Inflationsausgleich. Lebensversicherungen senken die Auszahlungsgarantien. Stiftungen kommen in Nöte wegen unzureichender Stiftungserträge.

Immerhin könnten auch ein Argument für Anlagen sprechen. Denn die Frage lautet ja: wie geht es volkswirtschaftlich weiter? Kommt ein neuer Bullenmarkt? Oder stehen die Zeichen auf Bärenmarkt? Letzteres scheint ernst zu nehmenden Experten wie etwa Prof. Fredmund Malik nicht ausgeschlossen. Er führt aus: „In einem solchen Szenario würde nicht mit Wachstum und latenter Inflationsgefahr kalkuliert, sondern mit Schrumpfung und Deflation. Man würde mit steigenden Zinsen rechnen, weil man die Möglichkeiten der Notenbanken geringer gewichten würde als die Folgen reihenweise fallierender Obligationsschuldner“ (Malik, Management, S. 142f. Das entsprechende Kapitel 8, aus dem dies Zitat stammt, werden wir in einer der kommenden Ausgaben der Wort-Meldungen mit freundlichen Genehmigung des Autors einstellen). Selbst wenn der Fall eintrifft, wiegt dies Argument dennoch nicht so schwer wie all die anderen genannten.

Resumee: die neoliberalen Reformprozesse haben institutionenübergreifende, einheitliche Kennzeichen. Dazu gehört ein spezielles Organisationsmodell, dazu gehören neue Finanzsteuerungsinstrumente, dazu gehört eine reduktionistische Personalpolitik (Personalabbau), und dazu gehören kapitalgedeckte Finanzierungsformen. Von letzteren profitieren mit Sicherheit die Banken, weniger die Kunden. Jedenfalls in den bekannten Beispielen.

Kirche schwimmt im Strom dieser neoliberalen Reformprozesse. Dass dieser Weg falsch ist, erkennt man daran, dass es überall in der Kirche knirscht. Richtiges, professionelles Management erkennt man aber daran, das man es genauso wenig spürt „wie einen perfekt passenden Schuh.“ (Malik, Management, S.65).

Nicht nur die Pfarrerinnen und Pfarrer, auch die Mitglieder der Kirche haben an die Kirche andere Erwartungen als die billige Kopie von Downsizing-Konzepten aus der Wirtschaft oder – mittlerweile – anderer Institutionen. Man lese dazu den folgenden Beitrag des Finanzkirchmeisters Schröder der EKiR.

Was wäre die Alternative für die Kirche? Die Alternative besteht darin, ein individuelles, auf die spezifische Lage der (protestantischen) Kirche zugeschnittenes Reformkonzept. Keine Einheitslösung für alle Institutionen, die nachträglich an individuelle Bedürfnisse angepasst wird. Das wäre so als, ob man beim Schuhkauf den Fuß an den Schuh anpasst. Das wäre ein schmerzhafter Prozess. Zeugen solcher schmerzhafter Prozesse sind wir gerade auch in der Kirche. Bei einer Fortsetzung droht der Fuß der Kirche verstümmelt zu werden, bis er in den Schuh „Neoliberales Reformkonzept“ endlich hineinpasst.  Nach 15 Jahren „Reformen“ wird es daher Zeit, innezuhalten. Es braucht ein Moratorium. Und es braucht eine ehrliche, schonungslose Bilanz. Danach muss man sich der Mühe unterziehen, ein eigenständiges kirchliches Reformkonzept zu entwickeln. Dazu nur wenige Leitgedanken: Reformen dürfen nicht wie bisher hauptsächlich an Finanzgrößen orientiert sein, sondern an den Menschen. In der Kirche geht nicht nur oder primär um Kapital. Es geht in der Kirche um die ‚3 K‘: es geht um Köpfe, Konzepte, Kapital – und zwar in dieser Reihenfolge. Dieses Managementkonzept der 3 K schafft Platz, es verlangt geradezu nach der Basis der Theologie. Denn der Mensch steht an erster Stelle. Management und Theologie passen dann, aber auch nur dann, wieder gut zusammen.

 

Friedhelm Schneider

„Zuversichtlich kleiner werden“ – Abschlussbericht des Zukunftsausschusses der EKKW

 Zum Abschlussbericht des Zukunftsausschusses der EKKW, Synode 26./27. April 2013 Hofgeismar.

Von Friedhelm Schneider, Pfarrer & Immobilienfachwirt (IMI)

 

Der Bericht enthält Forderung nach (Kürzungs-)Maßnahmen in vier Bereichen: 1. Immobilien, 2. Gemeindepfarrstellen, 3. Funktionspfarrstellen 4. Verwaltung.

Der Inhalt ist typisch für Kürzungs- und Abbaumaßnahmen im Fahrwasser des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“.

In dieser Ausgabe beschäftigen sich die Wort-Meldungen mit dem ersten Kürzungsthema Immobilien.

Die Verheißung: Präsenz in der Region, Pfarrer sollen sich (wieder verstärkt) geistliche Aufgaben widmen können

Die Realität der Umsetzung: Abbau des Immobilienbestandes, der Pfarrstellen.

Vor unseren Beitrag zum Thema Abbau des Immobilienbestandes gemäß Zukunftsausschuss der EKKW stellen wir unter die Leitfrage von Thomas Erne, dem Leiter des Instituts für Kirchenbau, Marburg: „Zu viele Räume – zu wenig Ideen?“ (Artikel in Isolde Karle: Kirchenreform).

 

1. Problem: „hohe Unterhaltungs- und Renovierungskosten“

Die Frage der Immobilien wird im Bericht des Zukunftsausschusses ausschließlich unter dem Aspekt der Ausgaben, also in kameraler Denkweise (von Ausgaben und Einnahmen) betrachtet. Das Problem besteht dann in „hohen Unterhaltungs- und Renovierungskosten“. Dass die Thematik derart eng geführt wird ist überaus spannend, hat man doch gerade in der EKKW die Doppik eingeführt. Dort werden die Immobilien als Sachanlagen im Vermögensteil aufgelistet (und bewertet. Zum Thema Doppik generell: Thema des Monats Mai). Von diesem Aspekt ist dem Zukunftsausschuss mit keinem Wort die Rede (s.u.). Warum?

Doch folgen wir bereitwillig der Argumentation des Papiers und betrachten zunächst die Ausgabenseite. Das Baumittelantragsvolumen belaufe sich auf 70 Mio. im Jahr 2012;

Anmerkung: der übliche Anteil dürfte bei ca. 15-20 Mio. p.a. liegen (im Vergleich die etwa doppelt so große EKHN: ca. 35 Mio. € p.a.); die besondere Höhe des Antragsvolumens 2012 dürfte also einem aufgelegten Sonderbauprogramm der EKKW geschuldet sein.

Weiter: „geschätzter Sanierungsstau: 100 Mio. €“;

Dazu zwei Anmerkungen.

Anmerkung 1: mit geschätzten Zahlen bei derartigen Maßnahmen kann man in der Regel gar nichts anfangen. Denn selbst die Bezugsgrößen bleiben im Dunkeln. Weder wird

  • von der Anzahl der betroffenen Gebäude gesprochen, noch
  • vom detaillierten Gebäudezustandsgrad aller Objekte (Gebäudeinformation gibt es ja nicht – s.u.) noch vom
  • Grad des Zustands des Gebäudebestandes nach erfolgter Sanierung, also der Definition des Sanierungsbegriffs. Die Aussage ist insoweit nicht aussagekräftig und für eine Entscheidung in keinem Falle ausreichend.

Anmerkung 2: Lässt man sich dennoch auf den „Schätzwert“ ein, dann hilft ein Vergleich mit anderen Ausgabenpositionen des Haushalts weiter. Nehmen wir als Beispiel den Mittelbedarf für die Bildung von Rücklagen für Beihilfeleistungen. Mit Einführung der Doppik unterzieht sich die EKKW völlig freiwillig der Pflicht der Rücklagenbildung auch für Beihilfeleistungen. Für die Pensionen ist das üblich, für die nur geringfügig ins Gewicht fallenden Beihilfeleistungen nicht. Es dürfte um einen Betrag von ca. 150 Mio. € gehen (vgl. die etwa doppelt so großen Landeskirchen Württemberg ((ca. 350 Mio)) und Bayern ca. 350 Mio.). Die Rücklagenbildung verlangt also einen um 50% höheren Mittelaufwand als die geschätzte umfassende Gebäudesanierung. Dabei ist bekannt, dass Kapitalanlagen derzeit keine Renditen abwerfen und sich bei Berücksichtigung der Inflation real selbst verzehren.

 

2. Lösung: Abbau des Immobilienbestandes

Die Frage ist zu stellen, wie die hohen Unterhaltungs- und Renovierungskosten eingedämmt und deutlich reduziert werden können“. Lösung: Aufgabe von Gebäuden, Erhalt weniger (!) verbleibender Gebäude; gedacht ist an die infolge Stellenabbaus frei werdenden Pfarrhäuser und an Gemeindehäuser. An Gemeindehäusern bestünde – wie im Falle der kathol. Kirche und der Kommunen – ein Überhang. Für den Verkauf „nicht mehr benötigter Gemeindehäuser“ sollen Anreize geschaffen werden. Doch auch Kirchengebäude, die als wichtigste Gebäudeart eingestuft werden, sind nicht völlig tabu. Sollen wenige Gebäude erhalten bleiben, ist an einen massiven Abbau gedacht. Konkrete Zahlen werden nicht genannt.

 

Dazu wieder ein paar Anmerkungen:

1. vielsagend ist der Weg: Nach Abbau von Gebäuden (!) soll dann ein Gebäudemanagement zu Einsparungen führen. „Deutliche Einsparungen können nur durch die beschriebenen Maßnahmen (Gebäudeabbau) ansatzweise realisiert werden“. Bei Anpassungsmaßnahmen des Immobilienbestandes an veränderte Gegebenheiten muss aber stets Information die Grundlage von Entscheidungen! Immobilieninformation ist etwas anderes als ein „Gebäudekataster“.

2. Die Frage der Gebäude wird allein fiskalisch – als Ausgabenproblem gesehen. Nicht aber aus Vermögenssicht. Der Gebäudebestand ist aber Teil des Vermögens. Eine Sicht, die in der Kirche oft ausgeblendet wird. Dafür gab es Gründe, die heute etwas anders zu bewerten sind. Eine entsprechende Betrachtung zeigt, dass aktuell eine Flucht der Investoren in Immobilienvermögen stattfindet, weil andere Anlagen (zu) unsicher geworden sind. Anlagen- und Rücklagenbildung in den bekannten Kapitalanlagen wird zunehmend kritischer. Warum will also die Kirche in dieser Zeit große Teile ihres Immobilienvermögens abstoßen?

3. Die Ausgabensicht ist beschränkt auf die Ausgabenseite bei dauerhaftem Betrieb.  Ausgeblendet ist die Ausgabenseite für den Transformationsprozess selbst. Vielfach geht es nicht schlicht um Verkauf. Im falle von Gemeindehäusern wird die „Integration von Gemeinderäumen in den Bestand der Kirchen“ angestrebt. Solche Veränderungsprozesse sind in vielfacher Hinsicht problematisch. Die sind hier nicht alle aufzuführen. Finanzielle Vorteile solcher Investitionen bei vergleichenden Vollkostenrechnungen werden höchst selten auftreten.

3. Auch funktionierende oder zuvor selbst erfolgreich reorganisierte (!) Tagungshäuser in nicht uninteressanter Lage wie in Bad Orb wurden verkauft. Lesen Sie mehr.

 

3. Die Erhaltung von Pfarrhäusern ist kostengünstiger als die Auszahlung des Ortszuschlags

Aufwendung von Baumitteln für Pfarrhäuser werden mit ca. 4,5 Mio. p.a. Beziffert – einmal eine konkrete Zahl! Bei einer (aufgrund von vergleichen geschätzten Zahl von ca. 500 Pfarrhäusern wären das ca. 9.000.- € p.a. Das ist in der Tat ein hoher Betrag. Ein privater Eigentümer käme sicher mit geringeren Ausgaben aus. Für das Management besteht also durchaus Optimierungsspielraum. Trotzdem muss die Kirche eine andere Kennziffer heranziehen: die der Ausgaben für Ortszuschläge, wenn eine Dienstwohnung nicht gestellt wird. In der Regel sind für die Kirche die Kosten bei Auszahlung der Ortszuschläge höher als die Kosten der Bauunterhaltung. Das ergab eine Recherche des früheren Synodalen und Finanzausschussmitglieds Dr. Bergner in der EKHN. Eine Entlastung des Haushalts findet bei einem Verkauf in diesem Falle also – anders als behauptet – gar nicht statt.

 

4. Einsparung? Kürzung!

Die Verheißung: mit Einführung des Gebäudemanagements und Budgetierung wurde der Bauunterhalt auf 1 Mio. und die Bewirtschaftung ebenfalls auf 1 Mio. gedeckelt. Gegenüber zuvor 2,5 Mio. € p.a. Fallen nurmehr jetzt 2 Mio. an. Das wird als Einsparung 500.000.- verbucht.

 

Anmerkung: die genannte „Einsparung“ ist nichts andres als eine Kürzung der Mittel. Das kann im Falle der Bewirtschaftungskosten bedeuten, dass im Winter die Leute in den Kirchen und Gemeindehäusern frieren müssen, weil – bei zudem steigenden Energiekosten – die Mittel nicht mehr ausreichen.

Deutlicher heißt es an anderer Stelle: „Es wird ein Prüfauftrag erteilt, ob die Mittel für den Bauunterhalt ab dem Jahr 2017 um 50% gekürzt werden und …ab 2026 entfallen können.“

Nicht ist die Rede von einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit, die dazu führen könnte, dass über Leistungssteigerung bessere Ergebnisse erzielt würden (Rationalprinzip der Ökonomie).

 

5. Gesamtbeurteilung

Der Ansatz des Zukunftsausschusses ist ganz offensichtlich dominiert von dem Ziel des Abbau des Gebäudebestandes. Dabei wird wohl im Falle des Pfarrhauses über die symbolische Bedeutung kaum angemessen eingeschätzt. Und im Falle der Gemeindehäuser wird die funktionale Bedeutung sowohl im städtischen als auch ländlichen Raum auch angesichts von gesellschaftspolitischen Veränderungsprozessen kaum angemessen erfasst.

 

In ökonomischer Hinsicht irritiert, dass die Immobilienfrage nicht primär als Vermögensfrage behandelt wird. Immerhin handelt es sich um Vermögensanlagen, die über Jahrhunderte bestanden oder gebildet wurden. Anleger suchen gezielt nach Immobilienanlagen als sicher Häfen. Und dabei ist auch das Immobilienvermögen im Visier. In einem Standardwerk Immobilieninvestition heißt es: „Das Vermögen der Kirchen wird häufig unterschätzt, weil es sich auf eine Vielzahl kirchlicher Rechtsträger… verteilt. Der Grundbesitz der Kirchen wurde zuletzt in 1937 in einer offizieller Reichsstatistik erfasst. Aktuelle zahlen gibt es nicht. Unbestätigten Schätzungen von Frek gehen davon aus, dass die Kirchen in Deutschland direkt und indirekt Immobilienwerte von 150 Mrd. € besitzen. Der Flächenbestand wird auf 6,8 Mrd. qm geschätzt. Damit zählen die Kirchen zu den bedeutsamsten Akteuren auf dem Immobilienmarkt.“

Die Beurteilung des Zukunftsausschusses allein nach Ausgabengesichtspunkten ist bei Immobilien generell, speziell in der besonderen aktuellen Lage schlicht unprofessionell.

Der Verkauf von zuvor reorganisierten Gebäuden erinnert an den Verkauf von ehemals staatlichen und kommunalen Kliniken an Privatinvestoren und damit an Ökonomisierungsprozesse von Bereichen der Daseinsvorsorge, denen sich die Kirche unterwirft. Dabei mag die Tatsache des Verkaufs an einen Klinik-Konzern selbst ein reiner Zufall sein.

 

Betroffen ist auch das Thema Partizipation: Die Daten- und Informationslage der Landeskirche ist für qualifizierte Vorlagen kaum ausreichend. Die für die weitreichenden Maßnahmen genannten spärlich eingestreuten Zahlen sind als Basis derartiger Entscheidungen unzureichend. Die vorgeschlagenen Entscheidungen sind damit weder überprüfbar noch nachvollziehbar. Entscheidungen können nur auf der Basis von Gutgläubigkeit und Vertrauen getroffen werden. Der Respekt vor den Mitwirkenden in den synodalen Gremien gebietet eine Grundlage, die verantwortungsvolle Mitwirkung an Entscheidungen ermöglicht. Dazu braucht es andere Grundlagen.

 

 

Prognosen – und was daraus geworden ist

Am 18.6.2002 stellt das Bistum Mainz zusammen mit der Unternehmensberatung McKinsey & Company den Bericht zum Abschluss einer Untersuchung des Bistums vor. Wie war die Prognose? Und wie hat sich die Lage in der Realität entwickelt?

Wenn wir im Bistum unsere bisherigen Aufgaben unverändert fortführen, dann könnten wir in den kommenden Jahren eine Finanzierungslücke erhalten, die zwischen 15 und 20 % des gegenwärtigen Etats liegen könnte… Ohne Veränderung auf unserer Seite ist die erwähnte Finanzierungslücke unausweichlich. Dies ist keine Schwarzmalerei, sondern Ergebnis einer sehr nüchternen Analyse… Lesen Sie den Artikel.

Bis heute, 11 Jahre später, hat sich die „sehr nüchterne Analyse“, die eigentlich nichts weiter als eine Prognose darstellt, nicht bewahrheitet. Die Kirchensteuereinnahmen sind in dem zurückliegenden Zeitraum um ca. 15-20% gestiegen. Da die Berichte des Bistums Mainz nicht für den gesamten Zeitraum verfügbar sind, hier etwa die die in der Regel parallel verlaufenden Zahlen der EKHN für 2001 = 371 Mio. € Kirchensteuer (netto!) und für 2011 = 425 Mio. € (netto).  Das ist also nicht ein Minus, sondern ein Plus von über 15% auf der Einnahmenseite! Die Zahlen für 2012 sind nochmals gestiegen. Gleichzeitig wurden etwa in der EKHN die Ausgaben in vielen Bereichen gesenkt (vgl. Kirche_ohne_(pastorale)_Zukunft (vgl. etwa S.11). Man nehme nur Stellenkürzungen und Gehaltsreduktionen, etwa beim Weihnachtsgeld u.v.a. . So ergibt sich eigentlich ein signifikanter Finanzüberschuss! Auch das dürfte beim Bistum Mainz nicht anders sein. Wie man sich mit Prognosen doch täuschen kann! Lerne und merke: (Finanz-) Prognosen sind keine Basis für strategische Planungen! Oder – um einen großen Geist zu zitieren: Vorhersagen sind schwierig – besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

Friedhelm Schneider

Protestantismus ohne Partizipation

Wie Partizipation heute organisiert wird um Beteiligung vorzutäuschen, beschreibt Prof. Burchardt in seinem Artikel (s.o.). Bei Burchhardt findet sich u.a. eine erhellende Passage darüber, wie Partizipation heute im Gefolge der Reformen postdemokratisch gestaltet, man könnte sagen: inszeniert wird. Man betrachte auf dem Hintergrund dieser Beschreibung die Vorgänge in den eigenen, bekannten synodalen und presbyterialen Gremien der mittleren oder der landeskirchlichen Ebenen, sowie Beiträge zum Thema des Monats Juni „Professionen“.

„…Ich selbst (Prof. Burchardt) habe bspw. an einer Schulung des Centrum für Hochschulentwicklung (CHE – Bertelsmann Stiftung, Anm. F.S.) teilgenommen, bei der Führungskräfte der Universitäten darin unterrichtet wurden, wie man gewünschte Gremienentscheidungen herbeiführt – natürlich unter Wahrung des demokratischen Scheins. Schon die Zusammensetzung der Gremien beruht auf einem Schlüssel, der einerseits Mehrheiten garantieren soll, andererseits die Verlierer und Kritiker der Reform insofern einbezieht, dass sie zwar zu Wort kommen, aber keine Gestaltungsmacht entfalten können. Partizipation bedeutet allerdings nur noch, die Implementierung ausführen zu müssen; Kritik ist erwünscht, insofern diese innerhalb des Reformrahmens Optimierungen vornimmt, eine Abstimmung über den Reformrahmen selbst oder eine wirkliche Gestaltungsmacht wird den Beteiligten nicht zugestanden. Das Geheimnis der Partizipationsökonomie besteht darin, dass man einerseits auf die beteiligten als Ressource angewiesen ist, andererseits aber vermeiden muss, dass sie den Prozess selbst verhindern, oder maßgeblich gestalten. Hilfreich ist es in diesem Zusammenhang auch immer, wenn man eingespielte Strukturen zerschlägt und ein Klima von Konkurrenz und gegenseitigem Misstrauen schafft…“

Man lese diese Zeilen aber auch als Einleitung und Erläuterung zum folgenden Artikel „Protestantismus ohne Partizipation“. Diese in diesem Vorwort geschilderte Praxis kennt man auch in der EKHN zur Genüge. Aber sind die Zeiten, in denen man Prozesse solcherart kaschiert hat, jetzt vorbei? Zeigt man jetzt die Destruktion demokratischer Strukturen ungeschminkt? Der folgende Beitrag von Pfr. Friedhelm Schneider über die flächendeckende Dekanatsfusion in der EKHN unter dem Gesichtspunkt des Entzugs der Herrschaftsrechte der Basis („Alle Gewalt geht vom Volke aus“) beschreibt eine neue Stufe der Entwicklung und reflektiert die Problematik des neuen Steuerungssystems der mittleren Ebene:

Protestantismus ohne Partizipation

Syndrom Kirchenreformen nach EKD-Muster

„Was ist los in der evangelischen Kirche? Falsche Analysen führen zu paketweisen Reformmaßnahmen wie Zentralisierung und Hierarchisierung, Doppik, Fusionen auf allen Ebenen. Maßnahmen, die keinem etwas nützen, wohl aber viele Leute mit unnötigen Aufgaben beschäftigen, um nicht zu sagen: lahm legen. Das ist die Kirche der Selbstbeschäftigung in Reinkultur. Und so platzte vor einiger Zeit einem – ansonsten völlig ‚unverdächtigen‘ – Pfarr-Kollegen in kleinerer Dienstrunde, bei der über die geplante Fusion der betreffenden Dekanate gesprochen wurde, der Kragen. Vehemenz und Zitatauswahl der Äußerung lassen darauf schließen, dass bei dem gewählten Fluch…“ Lesen Sie Protestantismus ohne Partizipation.

(erschienen auch im Hess. Pfarrerblatt, 3/2013).

Institutioneller Wandel und Generalmodell neoliberaler Organisationsreformen (Monatsthema)

 

Der Präsident des Fraunhofer Institut für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck analysiert, dass die „Auflösung der Spannung zwischen Kapitalismus und Demokratie sowie die Etablierung eines dauerhaften Primats des Marktes über die Politik“ in erster Linie durch inkrementelle ‚Reformen‘ der politisch-ökonomischen Institutionen betrieben werden“. Diese Prozesse werden allseits als Bedrohung wahrgenommen. So kommentiert Andrian Kreye die aktuelle Lage in der Süddeutschen: „2013 geht es darum, die Vergangenheit zu bewahren…In Europa und Amerika ist das ein Kampf um die Errungenschaften des 20. Jahrhunderts.“ (SZ, 10.06., S.4).

Im Visier solcher die demokratischen Errungenschaften zerstörenden Prozesse ist zum einen der kulturelle Sektor (vgl. den Beitrag zum Handelsabkommen Tafta in dieser Ausgabe). Zum anderen und weitgehend im Verborgenen der Bereich, der bislang einen öffentlichen Auftrag des Gemeinwesens, die Garantie des Rechtswesens, der Gesundheit, der Bildung und der Religion zu erfüllen hatte. In dem genau diese jeweilige Aufgabenerfüllung im Vordergrund stand und ökonomische Fragen sekundär bleiben. In dem die professionelle Erfüllung der Aufgabenstellung dem Interesse des Gemeinwesens somit eng verbunden ist. In dem also die Identität der Professionen wenigstens mittelbar verbunden ist mit der demokratischen Grundordnung.

Mit den Institutionen sind also auch deren Protagonisten, die Professionen, im Visier der Reformer. Und mit dem Transformationsprozess geht ein Wertewandel einher, der das Berufsbildes der traditionellen Profession selbst erschüttert. Es trifft das Berufsethos des durch sein/ihr Wirken für die gedeihliche Entwicklung der Gesellschaft tätigen und sich in seinem je sehr unterschiedlich gearteten Zuständigkeitsbereich verantwortlich und professionell Tätigen. Es trifft das Berufsethos einer Personengruppe, die bislang gegenüber den weit vorgedrungenen Spielarten offener oder verdeckter Korruption vergleichsweise unanfällig waren und die gerade dadurch volkswirtschaftlich und gesellschaftlich einen kaum zu unterschätzenden Nutzen erzeugt.

Nicht allein deshalb wächst der Unmut der Professionen gegenüber dem Wandel des Berufsfeldes durch ‚Reformen‘. Und es ist weniger die gesellschaftliche Anerkennung, die den Professionen versagt wird. Zwar beklagen sich alle Professionen, dass sie bzw. ihre Arbeit von der Seite der jeweiligen Leitung her diskreditiert wird, so unisono Richter, die Ärzte, Lehrer und Pfarrer. Unbeschadet dessen bleibt die gesellschaftliche Anerkennung etwa von Ärzten und Pfarrern (wir differenzieren an dieser Stelle mangels Information nicht nach evangelisch und katholisch) oder etwa der Justiz als Institution ungebrochen. Das Ergebnis der Arbeit der Professionen genießt also hohe Anerkennung. Jedes Wirtschaftsunternehmen würde mit solchen Pfunden seiner Mitarbeiter wuchern. Nicht aber die politischen und kirchlichen Leitungsorgane. Kann man sich deren Schelte erklären? Ist etwas schief gegangen in der Kommunikation?

Hochschulfreiheitsgesetz, Selbständige Schule (Hessen), Selbstverwaltete Justiz, ‚Kirche der Freiheit‘, Reformen – klingt das nicht alles gut? Zu schön, um wahr zu sein? Fühlt man sich in die 90iger Jahre versetzt, wo dem Volk unter dem Versprechen verbesserten Services die Post privatisiert wurde – und man anschließend in langen Warteschlangen auf seine „Abfertigung“ warten musste und heute mehr denn je warten muss. Worum geht es bei den hochtrabenden Versprechen? Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der EKD, benennt als Grund der Wahl des „Begriffs Kirche der Freiheit“  für den kirchlichen Reformprozess auf einer internen Tagung:

„Unter den drei Leitbegriffen der neuzeitlichen Revolutionen – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ist vor allem die Freiheit zu einem Schlüsselwort für das Selbstverständnis des modernen Menschen geworden. Seine Berufung zum aufrechten Gang, die ihm anvertraute Fähigkeit, Subjekt des eigenen Handelns, ja der eigenen Lebensgeschichte zu sein, der ihm zugetraute Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, die Erfahrung mit sich selbst in der Erschließung der Welt: all das gibt dem Begriff der Freiheit einen unvergleichlichen Klang. Er ist voller Verheißungen…“.

Der unvergleichliche Klang… Verheißungsvolle Worte. In der Kirche – und anderswo. So beim Hochschulfreiheitsgesetz: „Der Begriff „Freiheit“ nimmt eine zentrale Rolle bei der Umwälzung des Hochschulwesens ein. Das Pathos der Freiheit ist geradezu das wichtigste Lockmittel für die Betroffenen.“, so Wolfgang Lieb, Staatssekretär a.D. . Verheißungsvolle Worte dienen also als Etiketten, hinter denen sich alles Mögliche verbergen kann. Und zu oft fühlt sich der Zeitgenosse und mehr noch der Professionelle von solchen Etiketten getäuscht und verschaukelt. Man hatte den Worten vertraut… oder vertrauen noch immer…

Doch es entstand Unmut, nicht allein wegen der durch Versprechungen geweckte Erwartungen. Sondern mehr noch durch das, was an konkreten Reformmaßnahmen folgte.

Bei den an Institutionen gebundenen Professionen wollen wir im Folgenden den Themenkreisen

1. unternehmerisches Organisationsmodell und seine Risiken

2. Fachkontrolle und

3. Entmachtung der Profession

unser Augenmerk richten. (Die Themen 2 und 3 werden in der kommenden Ausgabe behandelt.)

 

Wir beginnen in dieser Ausgabe mit dem Thema Unternehmerisches Organisationsmodell und seine Risiken am Beispiel der Universitätsstruktur gemäß dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ (sic!) in NRW und dem Reformvorhaben „Selbstverwaltete Justiz“.

Unternehmerisches Organisationsmodell: Die Darstellung in der Grafik ist bewusst sehr abstrakt gehalten. Wer die Grafik ‚Generalmodell in seiner Grundstruktur‚ transparent liest und versteht, entdeckt darin das Grundmodell nicht nur bei Reformprozessen in der Hochschule, sondern auch der Kirche (hier: neues Steuerungsmodell der sog. Mittleren Ebene Dekanat, Kirchenkreis; vgl. Hess. Pfarrblatt 03/2013) und mit gewissen Modifikationen auch in neuen Reformvorhaben einer sog. selbstverwalteten Justiz und der unter dem Stichwort „Kommunaler Schullandschaften“ betriebener organisatorischer Veränderungsprozesse des Bildungswesens. Kurz: es gibt ein Generalmodell zur Organisationsreform der Institutionen  der Verselbständigung der Einrichtungen/Rechtsträger nach dem klassischen Muster und Instrumentarien des Wirtschaftsbetriebs. Immerhin mit geringfügigen Anpassungen an die individuelle Besonderheit der Institutionen. So wird für die Justiz eine Besetzung des Aufsichtsrates durch Laien nicht erwogen. Unberücksichtigt bleibt aber bspw., dass sich die Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts aus freiwilligen Kirchensteuerbeiträgen finanziert. Sie kann also anders als der Staat in dem Bereich der staatlichen Institutionen nicht auf die Zwangsmitgliedschaft und gesetzliche Zwangsverpflichtung setzen. Kirche braucht also den Konsens mit und die Rückbindung zu den Mitgliedern. Zu solchen weitergehenden, aber essentiellen Modelldifferenzierungen sind die Reformer aber offensichtlich nicht in der Lage. Das alles nährt den Verdacht, dass aufgrund der Verschiedenartigkeit der Institutionen dieser Generalansatz schwerlich die spezifischen Problem- und Aufgabenstellungen aller unterschiedlichen Institutionen berücksichtigen kann. Und schürt den Verdacht, dass solche korrekturbedürftigen Ausgangsprobleme der Institutionen mit solchen Generalmodellen eher noch verstärkt werden könnten. In der Kirche jedenfalls hat die Einführung teilweise heftige Konflikte ausgelöst. Wir verweisen hier nur auf die Beiträge von Pfr. Alberti aus der EkiR und RA Hoffmann aus der EKBO im Dt. Pfarrerblatt. Unsere Vermutung könnte dadurch bestätigt sein.

Konstruktionsfehler des Modells. Die bis dato demokratisch bottom-up aufgebauten Organisationsstrukturen werden in den Reformen durch eine top-down-Struktur ersetzt. Die Spitze bildet ein Hochschulrat ausgestattet mit den entsprechenden Aufsichtsratsfunktionen. Dieser ist zur Hälfte aus Laien besetzt. Und der Vorsitzende muss zwingend Laie sein:

„An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als rahmensetzende Organe wurde der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als (so wörtlich) „Fachaufsicht“ vorgesetzt…

Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler nach ihren ganz persönlichen oder ihren politischen oder ökonomischen Interessen. Vgl. den auch im folgenden zitierten Artikel von Staatssekretär a. D. Wolfgang Lieb.

Die Geschäftsführung liegt beim Vorstand/Präsidium. In der Regel ein Mitglied des Lehrkörpers. Der Staat möchte sich aus der unternehmerischen Hochschule weitgehend zurückziehen. Für die Kirche als Körperschaft gilt dies analog. Seine Aufgabe sieht der Staat in der Bereitstellung von Steuermitteln – zusätzlich zu zu aquirierenden Fremdmitteln aus der Wirtschaft. Die bisherige Gesamtverantwortung für die Rahmenbedingungen guter Arbeit der Institution wird vollständig bzw. weitgehend auf die Einrichtung (Universität/Mittlere Ebene) delegiert. 

In der Reformrhetorik werden als  Ziele der Reformen bekanntlich die Steigerung von Wirksamkeit, Professionalität etc.  benannt. Wie dürfte es damit bei einer derartigen Struktur bestellt sein? Mit welcher Kompetenz sollen bspw. Laien eine Hochschule leiten? Die Investitionen planen? Generell strategische Planungen entwickeln? Eine selbstkritische Stimme, der ehemalige Staatsekretär Lieb NRW, fragt:

„Der Hochschulrat hat die „Fachaufsicht“ über die Hochschule! Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:

Ich bin selbst Mitglied in einem Hochschulrat einer Hochschule und habe so seit 6 Jahren Erfahrungen mit einem solchen „Aufsichtsrat“ sammeln können:

Mit vielen anderen Hochschulratsmitgliedern, mit denen ich gesprochen habe, bin ich zur festen Überzeugung gelangt: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit den ihm per Gesetz übertragenen Kompetenzen schlicht überfordert.
Die jeweiligen Entscheidungen leiten sich allenfalls aus dem jeweils persönlichen Vorurteil oder Interessensbezug ab oder: man folgt lieber gleich dem Vorschlag des Präsidenten.“ 
Artikel von W. Lieb

Es bestehen – so auch das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das niedersächsische Modell einer Stiftungshochschule – „durchgreifende Zweifel“, ob diese Aufsichtsräte die ihnen vom Gesetz übertragenen Kompetenzen fachlich und sachlich ausfüllen können. Lesen Sie mehr.

Ähnlich wird die Problematik von Laien mit Aufsichtsratsfunktion auch in der Kirche beurteilt. Denn dort soll die mittlere Ebene zu einer entsprechenden unternehmerischen Organisationseinheit werden. So schreibt Pfarrer Alberti, Wuppertal, in einem Artikel im Deutschen Pfarrerblatt:

„Wer den ehrenamtlichen Presbyterien und Mitarbeitern in den Gemeinden Kompetenzen wegnehmen will (wie u.a. bei der Übertragung von Personalplanung und Personalverantwortung auf den Kirchenkreis), überträgt auf die dort tätigen ehrenamtlichen (und hauptamtlichen) Mitglieder der Kreissynodalvorstände weitaus mehr Entscheidungen, als sie selbst überblicken und angemessen entscheiden können. Superintendenten, Assessoren und die ehrenamtlichen Kreissynodalmitglieder müssen mit dieser Entscheidungsfülle völlig überfordert sein. Folglich sind sie weitgehend auf die Vorarbeiten und Vorlagen der Verwaltung angewiesen. Wenn Verwaltung aber für den Kreissynodalvorstand und die Superintendenten alles bearbeitet und vorbereitet, wird Verwaltung zum letztlich entscheidenden Gremium.“

Auch die versicherungsrechtliche Frage ist ungeklärt. Denn bei einer solchen laiendominierten Zusammensetzung sind ja – vorsichtig gesprochen – Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen. Wer haftet in diesem Falle? Es wird zugegeben, dass die Haftung der Mitglieder ungeklärt ist. „Die Ehrenamtlichkeit konfligiere mit den zumeist weitreichenden Kompetenzen der Hochschulräte, deshalb sollten diese für einen „individuellen Versicherungsschutz“, etwa einer „Directors and Officers Versicherung“, wie das für das Management von Unternehmen üblich ist, Sorge tragen und die Hochschulen sollen die entsprechenden Versicherungsbeiträge übernehmen“.

Aus dem o.g. Artikel von W. Lieb.

Neben grundsätzlicher rechtlicher Bedenken muss ergänzend die Frage erlaubt sein, inwieweit die hauptamtlichen durch die Ehrenamtlichen in ihrer Tätigkeit entlastet werden. Denn solche Unterstützung ist ja das traditionelle Argument für Ehrenamtlichkeit. Bei realistischer Betrachtung muss aber feststellen, dass Ehrenamtlichkeit immer Kräfte und Ressourcen der Hauptamtlichen bindet. Und damit also nach außen gerichtete Leistung bei Hauptamtlichen wieder verloren geht. Im ungünstigen Fall ist die addierte gesamte „Wirkungsbilanz“ dann sogar negativ. Folglich wird in einem professionell arbeitenden System immer die Frage zu stellen sein, an welchen Stellen Ehrenamtliche so eingesetzt werden können, dass sie die Gesamtwirksamkeit des „Betriebs“ wirklich steigern. Beispiele in der Wirtschaft für den Einsatz von Ehrenamtlichen, sprich Praktikanten,  im Aufsichtsrat wie im Hochschulfreiheitsgesetz sind bislang nicht bekannt… Man darf vermuten: aus gutem Grund! Ein lesenswertes Beispiel einer negativen Wirkungsbilanz schildert ein betroffener, ein ehemaliger Richter aus Frankfurt, bezüglich der Ehrenamtlichkeit im Gericht – dem Einsatz von Schöffen.

Zur Frage der Verfassungskonformität des unternehmerischen Institutionenmodells

Schon beim Hochschulfreiheitsgesetz entzündet sich die Frage der Verfassungskonformität. In einer Dissertation kommt der Verfasser Thomas Horst zum „Ergebnis, dass nach Art. 5 Abs. 3 GG der Gesetzgeber in allen wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten verpflichtet ist, einen hinreichenden Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit zu garantieren und dass die im Hochschulgesetz NRW eingeräumte Möglichkeit der Überstimmung des Senats durch den Hochschulrat als verfassungswidrig zu beurteilen ist.“, so W. Lieb in seiner Darstellung.

Auch seitens des Richterbundes wird in einer Stellungnahme zum Reformvorstoß der Gerichte die Verfassungskonformität der Vorlage bestritten. Der Richterbund legt dar:

„Die Aufnahme der Selbstverwaltung ins Grundgesetz ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch muss auch eine selbstverwaltete Justiz das Rechtsstaatsgebot und das Demokratieprinzip beachten. Eine von parlamentarischem Einfluss freie Justizverwaltung widerspricht dem Kerngehalt des Demokratieprinzips des Grundgesetzes und kann deshalb auch durch Verfassungsänderung nicht vorgesehen werden. Dem wird eine Lösung nicht gerecht, die eine Justizverwaltung ausschließlich durch Richter und Staatsanwälte vorsieht. Die richterliche Unabhängigkeit erstreckt sich nicht auf Aufgaben der Justizverwaltung.

Vorgeschlagen wird eine Justizverwaltung ausschließlich durch Richter und Staatsanwälte (Art. 92 Abs. 2 Satz 1 a.E. GG-E). Eine solche autarke Justizverwaltung widerspricht der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Demokratieprinzip, weil sie keine ausreichende Rückkopplung von Verwaltungsentscheidungen an das Volk als Träger der Staatsgewalt vorsieht….

Auch für die Justizverwaltung gilt, dass nach Art. 20 GG alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und die Ausübung von Staatsgewalt, wozu auch die Justizverwaltung selbst zählt, der demokratischen Legitimation bedarf. Mit dieser Anforderung ist eine autarke, und damit sich aus sich selbst heraus legitimierende Justiz unvereinbar.“ So der Deutsche Richterbund in seiner Stellungnahme. 

Fazit: die klassischen Institutionen befinden sich in einem Prozess der Umformung. Zentraler Bestandteil ist eine rechtlich weitgehend selbstsändige, nach unternehmenstrukturen transformierte Institution. Die Verheißung der Freiheit hat sich nicht erfüllt: „Die überwiegende Mehrheit der Forschenden und Lehrenden an den Hochschulen und schon gar die Studierenden sind mit der „neuen“ Freiheit verglichen mit ihren früheren Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten wesentlich „unfreier“ geworden als unter der früheren – allerdings durchaus nicht optimalen – akademischen Selbstverwaltung.“ (W. Lieb.) Das Modell ist zudem volkswirtschaftlich und für das demokratische Gemeinwesen schädlich.

Dieses selbe Grundmodell soll in den klassischen Institutionen in leicht angepassten Varianten umgesetzt werden. Dies Modell öffnet die Tore für die Einflussnahme, teilweise auch der Dominanz der Ökonomie durch den Einfluss der Laien in den Aufsichtsräten. Insofern ist die Organisationsmodell anfällig für offene oder versteckte Korruption, jedenfalls aber für eine Deprofessionalisierung. Eine Verbesserung der Leistungen der Institution im Sinne der Zielsetzung  des demokratischen Gemeinwesens, also der Verbesserung der Bildung, der Rechtssicherheit, des Gesundheitswesens oder aber der Arbeit der Kirchen, scheint nach alle dem höchst unwahrscheinlich. Zudem ist die Frage der Verfassungskonformität offen.

Friedhelm Schneider

Von der Frage des Rechnungswesen zur Theorie einer Praxis der Steuerung in der Kirche

Die praktischen Fragestellungen der Kirche im Zusammenhang der Verbesserung des Rechnungswesens werden in diesem Beitrag in einer Theorie entwickelt. dies geschieht in vier Schritten und Beiträgen von Friedhelm Schneider:

1. Kameralisitk, erweiterete Kameralistik, Doppik – eine etwas simplifizierende Einführung

2. Welche Informationen aus dem Rechnungswesen sind für die Finanzsteuerung der Kirche bedeutsam?

3. Der springende Punkt: die begrenzte Aussagekraft operativer Steuerungsinstrumente

4. Sonderfall Kirchliches Immobilienmanagement

Protestantismus ohne Partizipation

In der EKiR fragt der neue Präses Manfred Rekowski kritisch nach dem Verlust der Partizipation in der Kirche. Die EKHN hingegen praktiziert sie: im Verfahren um die flächendeckende Dekanatsfusion sind die eigentlich Betroffenen, die Gemeinden und Dekanate, von der Entscheidung ausgeschlossen. Ob die rechtliche Basis für das Verfahren trägt, sei dahin gestellt. Das Ansinnen scheint aber nicht allein aus diesem Grund bedenklich: Kosten und Nutzen stehen in keinem akzeptablen Verhältnis. Was aber viel interessanter ist: dies Vorhaben zeigt, welche Ziele die Reformen verfolgen – und welche Strukturen diese Ziele benötigen.

Dies erfahren sie im Artikel Protestantismus-ohne-Partizipation von Pfr. Friedhelm Schneider.